Weihnachten. Geschenkt!; Südkurier vom 16.12. und 17.12.2006 |
Am einfachsten ist es für kleine Kinder. Sie krakeln etwas aufs Blatt oder pappen ein paar Fetzen Stoff und ein Klopapier-Röllchen zusammen und überreichen das Kunstwerk mit heißem Herzen und den stolzen Worten: "Das schenke ich dir." Dann drehen sie sich um, gehen ihrer Wege und haben ihre Freigiebigkeit nach wenigen Minuten wieder vergessen. Für die meisten Erwachsenen ist das Schenken komplizierter. Denn Präsente können weit mehr als Freude stiften. Sie können beschämen und überfordern, beleidigen und verletzen. Manche von ihnen sind bei genauem Hinschauen nicht einmal gut gemeint. Und das kann vor den Kopf stoßen. Geschenke sind Kommunikation - und die kann scheitern. Gaben übermit-teln Botschaften von Nähe und Distanz, von Wissen und Ahnungslosigkeit. Sie verraten einiges über den, der beschenkt wird, aber besonders viel über den Schenkenden. Das muss kein Vorteil sein.
Problem: Beschenkter kann sich alles selber kaufen
Manche Menschen können auf ein Talent zum Schenken zurückgreifen, das anderen ein Leben lang versagt bleibt. "Du hast ein gutes Händchen", heißt es dann. Traumwandlerisch sicher greifen die Begabten zu Mitbringseln, die ins Schwarze treffen. Andere landen immer wieder im Fettnäpfchen, wenn sie Gutgemeintes überreichen. Für sie ist es in einer Gesellschaft des Überflusses und der unzähligen Möglichkeiten nicht leichter geworden. Das Schenken als Tradition stamme aus einer Zeit, "in der man noch nicht alles kaufen konnte", sagt der Bonner Philosoph Markus Melchers, der als "ambulanter" Sinn-Kurier seine Kunden auch in praktischen Moral- und Wertfragen berät. Heute aber könne sich der Beschenkte "in der Regel alles selber kaufen". Das macht es keineswegs einfacher. Denn als Schenkender kann man sich nicht mehr annähernd sicher sein, dass die gute Gabe auch gebraucht wird. Ganz abgesehen davon, dass wählerischer Kindermund heute die Wahrheit ganz unverblümt kundtut und Enttäuschung oder Entsetzen über ein Geschenk nicht immer mildtätig verborgen bleibt. Nicht alle halten das für einen Fortschritt.
"Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft"
Kinder mögen enttäuscht sein, wenn ein Wunsch versagt oder eine Sehnsucht unerkannt bleibt. Erwachsene kann so etwas auf immer beleidigen, und die Etikette erschwert es ihnen obendrein, ihre Gefühle auszudrücken. Melchers spricht von "vergifteten Geschenken", wenn sie zu Almosen geraten und so auch verstanden werden - etwa dann, "wenn man einem be-dürftigen Freund 50 Euro schenkt". Oder gar den eigenen Eltern. Geldgeschenke erfreuen eher, wenn sie an einen hübschen Zweck gebunden sind - zum Beispiel die verstohlen er-wähnte Wunsch-Reise. Das ist noch der klarere Fall. Den verschwommeneren schildert zwischen den Zeilen eine Redensart: "Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft." Sie enthält zwei Botschaften. Einmal jene, dass es für gelungene Zwischenmenschlichkeit überhaupt wichtig ist, etwas zu schenken, zumindest dann und wann. Das stiftet Gemeinschaft, drückt Achtung aus und Nähe - auch wenn nicht verschwiegen werden soll, dass manch Schenkender beim Geben darauf hoffen mag, später selbst etwas zu bekommen. Mildernder Umstand: Es geht hier meist weniger um Habgier als um eine Furcht - nämlich nicht respektiert zu werden, am Rande zu bleiben. Oder den Wunsch, später selbst Wertschätzung zu erfahren.
Spagat zwischen Konvention und Willen
Die zweite, vielleicht wichtigere Botschaft aber zielt auf die Größe, besser: die Angemessenheit des Geschenks. Große Gaben können überfordern und beschämen. Nur Menschen mit guten Nehmer-Qualitäten - und das heißt: mit großem Selbstbewusstsein - können mit üppigen Geschenken umgehen. Meist aber wird nur ein Hummelschwarm von Fragen aufgestöbert. Die wichtigste: "Wie soll ich das je wiedergutmachen?" Solche Menschen fühlen sich in der Schuld des Schenkenden und haben vielleicht weder die finanziellen noch die charakterlichen Möglichkeiten, adäquat zurückzugeben. Für Melchers liegt hier ein "Risiko des Schenkens", dass im ungünstigen Fall dazu führen kann, "dass der Beschenkte sich nicht mehr meldet". Ein Dilemma zwischen Moral und Usus gibt es auch anderswo. Viele erleben das fast wöchentlich in ihrer Firma, ihrem Amt. Jemand geht durch die Büros und sammelt Geld, weil eine Kollegin bald Geburtstag hat. Wieviel ist man bereit zu geben - noch dazu unter den nicht immer gleichgültigen Blicken des Einsammlers? Wie endet dieser Spagat zwischen Konvention und Willen? Sind drei Euro genug oder zehn? Gibt es eine gnädige Obergrenze von "höchstens fünf Euro"? Werden aber mindestens diese erwartet?
Geschenke eigenmächtig umwandeln oder Weiterschenken?
Und darf man sich hier verweigern? Klar, sagt Markus Melchers, "denn keiner darf mir meinen Willen vorschreiben". Doch dann müsse man auch zu den möglichen Konsequenzen sei-nes Handelns stehen - unter Umständen also zur Ächtung durch die Kollegen. Zudem könnte es sein, dass die ganze Sammelaktion scheitert, weil kaum jemand sich beteiligt. Eine ebenso Schweiß treibende ist die Frage, ob man Geschenke eigenmächtig umwandeln oder gar weiterschenken darf. Muss jemand den Theater-Gutschein einlösen, selbst wenn er vorgeführte Tragödien öde findet? Darf er sich das Geld dafür auszahlen lassen? Aus morali-scher Sicht spreche nichts dagegen, meint Melchers. "Was man damit macht, ist nicht länger Sache des Schenkenden." Denn ein Geschenk gehe nicht nur in den Besitz, sondern auch ins Eigentum des damit Bedachten über. Folglich könnte man eine Gabe auch weiterschenken - nicht nur dann, wenn sie missfällt und sowieso im Kellerregal landen würde.
Schenkenden nicht beschämen
Leichter fällt ein Bruch mit den Gepflogenheiten, wenn das Geschenk maßlos war oder Folgekosten nach sich zieht, die lästig oder gar untragbar sind. Das Sprichwort will es anders: "Einem geschenkten Gaul schaut man nichts ins Maul.", heißt es. Doch was, wenn das Pferd mehr Hafer frisst, als seine Arbeit wert ist? Wenn die süßen Kaninchen Dreck und Arbeit verursachen und im Jahr 100 Euro Folgekosten aufwerfen? Für Nina Pelkonen, freie Image-Beraterin in Ulm, stammt die Redensart aus einer längst ver-gangenen Zeit, als es beim Schenken noch um Existenzielles ging. Heute zeige Unpassendes "eher Ignoranz dem Schenker und dem Geschenk gegenüber". Und Melchers pocht auf die "Verpflichtung des Schenkenden", die Situation des Beschenkten zu bedenken, um ihn nicht zu beschämen und in eine moralische Zwickmühle zu zwängen.
Erziehungsauftrag auch beim Schenken
Vermutlich zum Glück zerbrechen sich längst nicht alle Menschen beim Schenken den Kopf darüber, was sie damit bezwecken. Geht es um die Freude, die man bereitet? Oder haftet selbst dieser zunächst lauteren Absicht etwas gar nicht mehr Selbstloses an - nämlich der Wunsch, der Beschenkte möge einem gewogen bleiben? Viele Menschen wollen lieben Menschen durch Geschenke offene oder verborgene Wünsche erfüllen. Manche Zeitgenossen jedoch haben einen Hintersinn - nämlich jenen, den Beschenkten durch die Gabe zu erziehen. Doch ist es verwerflich, den offenen Wunsch eines 14-Jährigen nach einer bestimmten Musik-CD zu ignorieren und stattdessen einen Natur-Führer zu schenken, damit der Junge nicht noch mehr zum Stubenhocker wird? Das findet Melchers nicht. Einen Anstoß in Richtung Jugend zu geben, auch mit Geschenken, sei in Ordnung. "Der Erziehungsauftrag des Erwachsenen erlischt nicht beim Schenken", sagt der Experte fürs Moralische.
Annehmen oder nicht?
Eine der kniffligsten Fragen rund um Geschenke ist die, ob man ihre Annahme verweigern darf. Abgeordnete, Beamte und Arbeitnehmer müssen dies sogar - von Kugelschreibern und billigen Feuerzeugen abgesehen. Doch muss man sich alles schenken lassen - auch zum drit-ten Mal hintereinander Zigarren, die man noch nie gern geraucht hat? Oder Klavierstunden, die man gar nicht absolvieren möchte? Im Zweifel ja, meint die Ulmer Image-Beraterin Nina Pelkonen. Allenfalls unter "dicken Freunden", jedenfalls dort, wo viel Vertrauen herrscht, könne das "ehrliche Angebot" des Gebers, etwas umzutauschen, auch wirklich angenommen werden. Ganz anders liege der Fall, wenn Bestechung oder andere unlautere Absichten mit Geschenken verbunden sind. Wenn ein Mann einer Frau ein Negligé präsentiere und dies nicht der Nähe zwischen diesen beiden Menschen entspreche, dürfe die Frau es natürlich zurückweisen. "Dann bekommt der Mann die Ohrfeige, die er verdient", urteilt Pelkonen. Eine moralische Verpflichtung, Geschenke anzunehmen, gibt es nicht, meint der praktische Philosoph Markus Melchers aus Bonn. Doch ein Verstoß gegen die Konventionen wäre es, und jeder müsse überlegen, ob ihm sein Selbstbestimmungsrecht in solchen Fällen wichtiger sei als die Rücksichtnahme auf die vermutlich verletzten Gefühle anderer - noch dazu unterm Weihnachtsbaum.
Auspacken - hier und jetzt?
Wenn Geheim-Agenten auspacken, ist das nicht selten eine Sensation - denn eigentlich hat das keiner erwartet. Anders beim Schenken: Viele Geber erwarten, dass der Beschenkte das Präsent sofort auspackt. Zwar spricht der Philosophie-Praktiker Markus Melchers von einem "moralischen Recht" des Gebers zu erfahren, ob das Geschenk gefallen hat. Doch dem Beschenkten aufzubürden, quasi vor laufender Kamera zu reagieren, obendrein vielleicht vor den gespannten Blicken weiterer Gäste, kann Unehrlichkeit provozieren. An Weihnachten hat man freilich keine Wahl: Die Stunde der Wahrheit - mitunter auch der Schauspielkunst - schlägt hier sofort.
(WS)
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