Der Philosoph, der mit dir spazieren geht, Saarbrücker Zeitung vom 10.01.2003 |
Philosophische Lebensberatung: Markus Melchers hilft bei Krisen weiter - mit Hilfe großer Männer von gestern Bonn. Mit Klienten geht er am Rheinufer spazieren, streift über Friedhöfe, sitzt auf Parkbänken. Cafés dagegen meidet der Philosoph. "Wenn es zur Sache geht, stören Zuhörer am Nebentisch", sagt Markus Melchers. Die lebenslustige Kölnerin Sabine Naters, 42, etwa hatte sich als Verwaltungsbeamtin den Mobbing-Attacken ihres Chefs jahrelang widersetzt. Nun war sie müde, zermürbt. Erst ging sie zum Psychologen, dann zum Seelsorger. Hilfe fand sie dort nicht. "Ich hörte Standardantworten", erinnert sie sich. "Aber ich suchte Denkanstöße." Dann hörte sie von Markus Melchers, rief an, man ging spazieren. Nach fünf abgelaufenen "Sitzungen" hatte sie Durchblick, katapultierte sich aus ihrer Beamten-Laufbahn und ist mittlerweile für die Öffentlichkeitsarbeit einer Privatbank zuständig. "Die Gespräche fanden in einer für mich entscheidenden Lebensphase statt, sie waren lösungsorientiert, aber es war nichts vorgegeben. In meinem Philosophen hatte ich einen vorzüglichen Zuhörer und klugen Stichwortgeber. Starke Gedanken können das Leben verändern wie große Gefühle." "Es gibt keinen günstigen Wind für denjenigen, der nicht weiß, wohin er segelt", zitiert Markus Melchers den römischen Philosophen Seneca. Er ist bemüht, seine Gesprächspartner in ruhiges Fahrwasser zu bringen. "Philosophieren heißt, eine bestimmte Haltung zur Welt einzunehmen", erklärt der Vor-Denker. Seine Ambulanz betreibt er bundesweit seit 1998. "Die Sinnfrage begegnet mir nur noch selten", so Melchers. Es gehe mehr darum, dass Menschen autonome Persönlichkeiten werden und nicht mehr auf Vorgedachtes zurückgreifen wollten. "Das ist das Problem der kirchlichen Seelsorge und der Psychologie. Sie haben oft keine Antworten für unsere Zeit." Beziehungsgeräderte Singles sind immer noch dem Geheimnis der Liebe auf der Spur. Wache Zeitgenossen quälen sich an moralischen Fragen ab. Und Grauhaarigen geht die Puste aus im schnellen Wandel der Werte und Moden. Also: "Der Philosoph wird heute wieder gebraucht", meint Melchers. Wobei die Klienten von ihm nicht durchweg Antworten erwarten, sondern das frei flottierende Gespräch suchen. Melchers Klienten sind zwischen 30 und 70 Jahre alt, zu 75 Prozent weiblich. "Frauen bohren nach, umgetrieben von existenzieller Erkenntnis. Männer begegnen mir anfangs oft mit einer intellektuellen Attitüde und betreiben Philosophie wie Fitnesstraining." Die meisten befinden sich an einer biografischen Schnittstelle. "Es ist meine Aufgabe, nicht zuzulassen, dass sie dort stehen bleiben. Das philosophische Gespräch soll darin gipfeln, einen Zugewinn an Freiheit zu erfahren." Wie sieht das in der Praxis aus? "Ich begegne meinen Gastgebern gleichberechtigt, wir diskutieren, arbeiten an Lösungen. Es gibt mehrere gültige Antworten auf Lebenskrisen, die beste arbeiten wir ge-meinsam heraus." Kann man aus der Philosophie einen ganz praktischen Nutzwert ziehen? Der Königsberger Großdenker Imanuel Kant regte an, immer neu über vier Grundfragen unseres Daseins nachzudenken: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Wer diese Fragen reflektiert, gleitet hinüber ins Abenteuer des Denkens. "Der Mensch will mit seinen Gedanken ernstgenommen werden", gibt Melchers eine Grunderkenntnis preis. Philosophieren heißt, frei durch den eigenen Kopf schwirrende Überlegungen mit einem anderen zu erörtern. Das kann unerhörten Spaß machen, ist aber auch anstrengend. Nichts anderes haben die großen Philosophen getan. Wie einst Sokrates versteht sich auch Melchers als Geburtshelfer beim Denken. "Ich helfe den Gedanken meiner Auftraggeber ans Licht. Jeder Begriff muss erst einmal genau auf seine Bedeutung hin abgeklopft werden. Was meint Liebe? Zuneigung, Eros, Sex?" Der Vorteil der Philosophie gegenüber anderen Herangehensweisen ist ihr universaler Anspruch, der umfassende Blick, nicht der spezielle aus einer Einzeldisziplin. "Beim Philosophieren verschmelzen verschiedene Perspektiven immer mehr zu einem Gesamtbild", so Melchers. Roland Mischke |