english
das Werk
 
Mit der revolutionĂ€ren VerĂ€nderung der technologischen und sozialen Lebensbedingungen verĂ€ndert sich nicht nur die Ă€ußere Welt, sondern auch rapide die innere Wertbeimessung der Moral, wĂ€hrend die ethischen und naturgesetzlichen Prinzipien, wie z.B. die Tugenden und die Laster, der Mut und die Feigheit, der Einfallsreichtum und der Stoizismus und andere Antriebs- oder Hemmungsenergien, ja selbst die wechselnden Jahreszeiten, hervorgegangen aus dem Erdumlauf um die Sonne, fĂŒr immer und ewig unverĂ€ndert dieselben bleiben.
Bei den allegorischen Schaubildern der Renate von Charlottenburg handelt es sich um eine mit Bleistift und Tusche erstellte zeichnerische, allgemeingĂŒltige Visualisierung metaphysischer und universeller ZusammenhĂ€nge, die in einer gekonnten Synthese von Überlieferungen aus unterschiedlichen Kulturen der Welt völlig neue Bedeutungen gewinnen und dadurch Einmaligkeit besitzen.

BĀLAVAT, Berlin 2011



Über die allegorischen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg

auschnitt_sommer2.jpgDie figĂŒrlichen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg resultieren aus ihrem fundamentalen Interesse an zeitlosen, immerwĂ€hrenden Themen und ihrem elementaren BedĂŒrfnis, sich mit diesen kĂŒnstlerisch auseinanderzusetzen.
Dabei beschĂ€ftigt sich Renate von Charlottenburg vorzugsweise mit MĂ€rchen, Mythen und anderen Überlieferungen. Diese bewahren besonders eindrucksvoll die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Vorstellungen der jeweiligen Zeit und des jeweiligen Kulturkreises und spiegeln diese bis heute mehr oder weniger authentisch wider.
Ihr Augenmerk richtet sich vor allem auf die Gemeinsamkeiten, welche die Überlieferungen – trotz aller Verschiedenartigkeit ihrer AusprĂ€gung in jeweils unterschiedlichen Zeiten und Kulturen – besitzen, und somit auf ihren zeitlosen und orts-unabhĂ€ngigen, wesenhaften Ursprung.
Diese zugrundeliegenden, ursprĂŒnglichen, universellen Prinzipien und KrĂ€fte sind somit das eigentliche Interessensgebiet und die eigentlichen Inspirationsquellen, aus denen Renate von Charlottenburg schöpft.
Sie erschließen sich ihr zum einen ĂŒber ihre fundierten Kenntnisse der jeweils herrschenden religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen vergangener und gegenwĂ€rtiger Kulturen, zum anderen aber auch kĂŒnstlerisch-inspirativ.



d2.jpgIhr Umgang und ihre BeschĂ€ftigung mit Menschen, Tieren und der gesamten belebten Natur, aber auch mit den scheinbar leblosen, unbewussten Dingen, ist stets geprĂ€gt durch ein hohes Maß an IntensitĂ€t und SensibilitĂ€t.
Dadurch erspĂŒrt Renate von Charlottenburg nicht nur die Prozesse und PhĂ€nomene, die sich hinter der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit abspielen, sondern erfĂ€hrt auch den grundlegenden Charakter und die bestimmende Intention der Objekte ihrer Betrachtung und ihrer Studien.
In jenen Momenten großer Konzentration und intensiver Kontemplation kann sich ihr das UrsprĂŒngliche und Wesenhafte offenbaren und unverfĂ€lscht darbieten.
Diesem Wesen hinter den Erscheinungen gibt Renate von Charlottenburg in ihren allegorischen Zeichnungen Gesicht und Gestalt und lÀsst es personifiziert und prÀgnant charakterisiert mit dem Betrachter kommunizieren.

Durch ihre ĂŒberkulturelle, ĂŒberreligiöse und kosmopolitische Vorgehens- und Betrachtungsweise können ihre Zeichnungen nicht nur die Wurzeln unserer eigenen westlich-europĂ€ischen Kultur und Geisteshaltung freilegen, sondern gewĂ€hren auch Einblicke in die Grundlagen anderer, z.B. östlich-asiatischer Weltanschauungen.

Die Überlieferungen werden von Renate von Charlottenburg jedoch nicht einfach zitiert und illustriert, sondern bilden lediglich die Grundlage und Ausgangssituation fĂŒr richtungsĂ€ndernde Neuinterpretationen, inhaltliche WeiterfĂŒhrungen oder Überhöhungen, die sie dann in ihren figĂŒrlichen Zeichnungen umsetzt und manifestiert.
So fĂŒgt sie den bekannten und tradierten kollektiven Bilderwelten völlig neue Ideen hinzu und schafft gĂ€nzlich neue Bildaussagen.
Die allegorischen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg sind somit echte, noch nie dagewesene Neuschöpfungen.

d3.jpgDie in ihren Zeichnungen vorgenommenen ‚Korrekturen’ bekannter Inhalte und Motive sind allerdings niemals willkĂŒrlich oder einer zufĂ€lligen Phantasie entsprungen, sondern resultieren aus einem fundierten Wissen ĂŒber universelle ZusammenhĂ€nge.
Dieses ermöglicht Renate von Charlottenburg einen neuen Blick auf bekannte Überlieferungen und gestattet ihr, mit kĂŒnstlerischen Mitteln in diese einzugreifen.
Eines ihrer Hauptanliegen ist dabei, Dualismen zu ĂŒberwinden und Synthesen herzustellen, denn auch die tradierten Vorstellungen und Überlieferungen basieren hĂ€ufig auf antagonistischen, ausschließenden Sichtweisen und auf dualen Werten.
Die Welten der Mythen und MĂ€rchen sind zumeist aufgeteilt in Gut und Böse, Macht und Ohnmacht, Wahrheit und LĂŒge, Nutzen und Schaden und voll von scheinbar unvereinbaren GegensĂ€tzen.
Dabei propagieren sie - dem jeweils herrschenden Zeitgeist, der gesellschaftlich-kulturellen Situation und ihrer Moral entsprechend - entweder die eine oder die andere Seite. Ihre Protagonisten gehen meistens ziemlich schonungslos mit ihrem Widersacher um und merzen oft gnadenlos alles aus, was nicht ins jeweilige Weltbild passt.

Renate von Charlottenburg vertritt dagegen einen wohlwollenden, synthetisierenden und integrierenden Standpunkt.
Bei ihr hat auch das vermeintlich ‚Böse’ seinen Platz. Allerdings weist sie diesen Motiven in ihren allegorischen Zeichnungen immer eine untergeordnete Position zu. Stattdessen stellt sie die der Gesamtentwicklung dienlichen, konstruktiven und kreativen KrĂ€fte in den Mittelpunkt und schafft neue ‚erlösende Momente’.

d4.jpgIn den allegorischen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg herrschen somit völlig neue VerhÀltnisse und ZustÀndlichkeiten.
Dadurch erzeugt sie zeichnerisch gĂ€nzlich neue Vor-Bilder und Vor-Stellungen, die nicht nur auf den Betrachter wirken und sich bei diesem einprĂ€gen können, sondern ihre Neuschöpfungen fĂŒhren immer auch zu RĂŒckkoppelungen auf den Ebenen der Prinzipien und Ideen, deren Entsprechungen sie sind und die in ihren Bildern reprĂ€sentiert werden.
Mittels ihrer allegorischen Zeichnungen schafft Renate von Charlottenburg auf der Ideen-Ebene neue VerhÀltnisse und manifestiert diese dort sehr prÀzise und detailliert.
Die so entstandenen, ideellen Neuschöpfungen können jetzt direkt von ihrem Ursprung her, der Ideen-Ebene, ihre neuen Inhalte als Vor-Bilder und Vor-Stellungen selbstschöpferisch entfalten und zur Wirksamkeit bringen (soweit dies unter den gegebenen materiellen Bedingungen möglich ist).

So wie die alten Mythen, MĂ€rchen und Weltanschauungen die Grundhaltung der Menschen frĂŒherer und heutiger Zeiten bestimmt haben und die vergangenen und jetzigen kulturellen und gesellschaftlichen VerhĂ€ltnisse mitbewirkt, wenn nicht sogar hervorgebracht haben, so können nun die figĂŒrlichen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg kulturprĂ€gend wirksam werden und helfen, eine aufs Ganze gerichtete, integrierende, synthetisierende Denk- und Handlungsweise im menschlichen Bewusstsein zu verankern.

Eine kunstgeschichtliche Einordnung der allegorischen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg

Renate von Charlottenburg geht mit ihrer Kunst bewusst zurĂŒck zu den Wurzeln zweidimensionaler Darstellungen.
So bestimmt bei ihren figĂŒrlichen Zeichnungen - wie bei den Illustrationen der mittelalterlichen Buchkunst – die symbolische Bedeutsamkeit die GrĂ¶ĂŸe und Position der dargestellten Charaktere. Auch beim Bildaufbau und der Anordnung einzelner Bildelemente werden der symbolischen Wertigkeit Vorrang gegenĂŒber der perspektivischen Darstellung gegeben.
Der allegorische, erzĂ€hlerische Charakter ihrer figĂŒrlichen Zeichnungen und die UniversalitĂ€t der Themen ihrer Bilder knĂŒpfen an die Malerei der Renaissance und des Barock an.
So wie zum Beispiel die DeckengemĂ€lde jener Zeit die geistigen RĂ€ume oberhalb der vordergrĂŒndigen Wirklichkeit widerspiegelten, so weisen auch die Zeichnungen der Renate von Charlottenburg auf höhere ZustĂ€ndlichkeiten hin, beziehen aber immer ganz bewusst die Ebenen der alltĂ€glichen Wirklichkeit mit ein. Jedoch auch den niederen, dunklen und meist unbewussten Seiten unserer Existenz gibt sie in ihren Bildern Raum.

d5.jpg

Renate von Charlottenburg weitet den Blick des Betrachters nicht nur vertikal, sondern auch horizontal aus.
In ihren allegorischen Zeichnungen verbinden sich hĂ€ufig westliche, europĂ€ische Kulturen, Mythen und MĂ€rchen mit Aspekten östlicher Weisheiten. So bietet sich dem Betrachter eine weltumspannende Gesamtschau und eine ĂŒbergeordnete, universelle Sicht auf zeitlose Themen.

Auch zur deutschen Romantik gibt es bei den Zeichnungen und Illustrationen der Renate von Charlottenburg viele BezĂŒge.
So ist bei ihrer Darstellungsweise die Linie das bestimmende zeichnerische Element.
Durch ihre feine, pointierte LinienfĂŒhrung offenbart sie die tatsĂ€chlichen Eigenschaften und Motive der dargestellten Charaktere. Diese Art der Darstellung von Gestik und Mimik macht die eigentliche Haltung und das bestimmende Wesen hinter der vordergrĂŒndigen Erscheinung sichtbar oder lĂ€sst es zumindest erahnen.
Der bewusste Verzicht auf eine Kolorierung lenkt den Betrachter nicht vom ‚Zeichenhaften’, also dem Wesentlichen und Wesenhaften des zeichnerisch Dargestellten ab, sondern konzentriert ihn und lĂ€sst ihn – Ă€hnlich wie die Pantomime in der darstellenden Kunst – die Bedeutsamkeit feiner Details im Ausdruck erkennen.
Auch die Illustrationen von Wilhelm Busch oder Ludwig Richter waren ja ursprĂŒnglich nicht farbig.

Die allegorischen Zeichnungen der Renate von Charlottenburg im VerhĂ€ltnis zu zeitgenössischen figĂŒrlichen Zeichnungen

d6.jpgDamit befindet sich Renate von Charlottenburg nicht nur in guter Tradition universell orientierter Perioden der Kunstgeschichte, sondern setzt in einer Zeit der zunehmenden Abstumpfung und Verflachung einen neuen Trend.
In der heutigen Welt voller Bilder, die immer greller, plakativer und brutaler werden, kultiviert sie in ihren Zeichnungen wieder bewusst die Kunst der leisen Töne, welche die sensiblen Seiten im Menschen anklingen lassen und die Aufmerksamkeit auf das Feine, HintergrĂŒndige und Wesenhafte richtet.
Dem Überangebot von Darstellungen, in denen die Charaktere der Protagonisten nicht nur manieriert, sondern oft bis ins Groteske und Absurde ĂŒbersteigert oder sogar bis ins Gegenteilige ihrer selbst verfremdet werden, stellt Renate von Charlottenburg das eigentliche, tatsĂ€chliche Wesen der dargestellten Figuren entgegen und schafft damit Klarheit und Ordnung in einer (Bilder-)Welt voller Unstimmigkeiten.

In ihren allegorischen Zeichnungen hat alles seinen Platz.
Unterschiedlichste Charaktere treten in respektvoller, angemessener Weise zu den jeweils andersartigen in Beziehung. Dabei werden die Gemeinsamkeiten der Dinge und Wesen bewusst betont und in den Vordergrund gestellt. Ihre Unterschiedlichkeiten dienen somit allein der Freude an der Vielfalt und erzeugen eine harmonische Komposition voller interessanter und stimmiger Wechselspiele.