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Auf der Suche, DIE ZEIT Campus online; November 2006
Philosophie-Studenten passen nur auf wenige Jobprofile. Umso kreativer werden sie bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Von Bastian Rudde
Uli Knüttgen entspricht nicht gerade dem Klischee seines Metiers: Der 24-jährige Lehramtsstudent mit den blonden Haaren und dem Seitenscheitel trägt kein Cordjackett, keine braune Ledertasche und auch keine Nickelbrille. Trotzdem steht er kurz vor seinem ersten Staatsexamen in Philosophie. Uli Knüttgen ist sich allerdings sicher: "Lehrer will ich auf keinen Fall werden. An die Schule zu gehen stellt für mich keine Alternative dar." Eine Laufbahn als "professioneller Philosoph" an der Uni findet er ebenso unattraktiv. Der gebürtige Kölner hat sich andere Ziele gesetzt. "Ich will Journalist werden. Das steht fest."
Knüttgen ist einer von derzeit 1967 Studenten der Philosophie an der Kölner Universität. Vorletztes Jahr hat die mit knapp 50.000 Hörern größte Hochschule Deutschlands über 120 studierte Philosophen mit Lehramts- oder Magisterabschluss in den Berufsalltag entlassen - und auf einen Arbeitsmarkt, dessen Grenzen für studierte Philosophen immer mehr ver-schwimmen. Denn den klassischen Arbeitsplatz für einen Philosophen gibt es nicht: Nur ein Bruchteil der Absolventen bleibt nach dem Studium an der Uni, um zu promovieren und wissenschaftlich zu arbeiten. Und selbst die praxisnäher ausgebildeten Philosophie-Lehrer haben, siehe Knüttgen, oft anderes vor.

Philosophischer Notfalldienst

Doch fehlende Qualifikationen für einen konkreten Beruf machen die Studienabgänger der Philosophie wieder wett, indem sie das an der Uni angeeignete Wissen besonders kreativ einsetzen. Diejenigen Studienabgänger, die von Unlust auf Schule und Wissenschaft getrieben sind, arrangieren sich mit der schwierigen Arbeitsmarktlage und kommen heute in Arbeitsfeldern unter, die längst nicht mehr nur auf die bisher bekannten Berufe rund um Lehre, Wissenschaft, Kultur und Literatur beschränkt sind.
Auch Markus Melchers gehörte einst zu diesen fantasievollen Neuanfängern: Der Bonner arbeitet heute selbstständig als mobiler philosophischer Praktiker. Vor acht Jahren gründete der 43-Jährige sein Unternehmen "Sinn auf Rädern" und betreibt seitdem ambulante Wahrheitsfindung: Unter vier Augen spricht er mit seinen Kunden vor Ort über persönliche Probleme und Themen aus der aktuellen Forschung. "Soweit ich weiß, war ich bundesweit der Erste, der diese Idee verwirklicht hat. Es hat Überwindung gekostet, den Schritt zu wagen, aber mittlerweile habe ich einen soliden Kundenstamm", resümiert Melchers. Eine Patentlösung könne er seinen Kunden mit ihren Problemen jedoch nicht bieten: "Philosophie, besonders in der Praxis, ist für mich auch die Bescheidenheit, nicht alles wissen zu können. Vieles, was ich an der Uni gelernt habe, wird erst in der Praxis wirksam."

Durchboxen als Unternehmens-Ethiker

Die unklare Berufsperspektive mit einem Philosophieabschluss wurde zu Melchers Studienzeit von den Professoren sogar als Vorteil für die Studenten ausgelegt: "Nutzen Sie Ihr Studium zur Freiheit!", hieß es Anfang der neunziger Jahre. Was der Nachwuchs später mit diesem Studium konkret anfangen solle, darüber machte sich kaum jemand Gedanken.
Die philosophische Freiheit, die die Lehrenden damals gemeint haben mögen - sie ist heute auch zu einer Freiheit der Berufswahl geworden. "Was Philosophen über die Grenzen hinaus qualifiziert, sind geistige, meist analytische und sprachliche Fertigkeiten", fasst Jörn Müller zusammen. Der Bonner Philosophiedozent muss es wissen: Er wechselte nach der Promotion vor sechs Jahren als Unternehmensethiker in eine börsennotierte Computerfirma. "Besonders in der Betriebsführung ist es gefragt, gut argumentieren zu können. Man muss fähig sein, hinter den Fachjargon zu steigen und sich damit zu artikulieren", so der 37-Jährige weiter. Und das sei besonders durch Philosophie gut lernbar. Von der Theorie in die Praxis und retour: Das Unternehmen ging pleite, Müller forscht inzwischen wieder an der Uni.
In einem Punkt sind sich Müller und Melchers einig: Die Philosophie biete beruflich viele Möglichkeiten - um sich aber von ihr allein zu ernähren, dazu tauge sie nicht. Ebenso unrealistisch sei die Vorstellung, man werde Philosoph, wenn man nur brav Philosophie studiert habe. "Ich weiß wirklich nicht, wo genau die Arbeitsplätze für Philosophen sind", sagt Melchers achselzuckend. "Ich glaube, man findet sie überall, doch nur selten direkt in der Philosophie."

Berufsfindung in Eigenregie

Auf außeruniversitäres Engagement kommt es also an - wie bei Uli Knüttgen. "Bei mir läuft alles über Eigeninitiative. Ich bin auf Praktika angewiesen", berichtet der Student, der bei einer Regionalzeitung und einem Software-Hersteller nebenher Geld verdient. Doch wie bereitet die Uni ihre Philosophie-Absolventen auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vor - etwa mit Auslandserfahrung, Fremdsprachen und Praktika? "Von Angeboten der Hochschule kriege ich nichts mit. Das läuft privat und führt dazu, dass ich mich mit Philosophie nur noch im Rahmen des Studiums beschäftige. Lust hätte ich schon, aber mir fehlt einfach die Zeit."
Auf die Frage, ob es ihr ähnlich gehe, schüttelt Julia Wittschier entschieden den Kopf. Die 25-Jährige ist ein Semester weiter als ihr Kommilitone, studiert an derselben Uni, ebenfalls auf Lehramt. Philosophischer Praktiker, Journalist oder Unternehmensberater - für sie sind das keine Berufsperspektiven: "Arbeiten als philosophischer Gigolo, nein danke", wiegelt sie ab. Ihr Weg werde an die Schule führen, und darauf sei sie gut vorbereitet. "Und auch Zeit habe ich genug, um mich mit Philosophie zu beschäftigen. Fachlich fühle ich mich gut aufgehoben." Das Studium und seine Finanzierung hat sie gut geregelt: Wittschier arbeitet als Hilfskraft am philosophischen Seminar.

"Akademische Laufbahn frustriert finanziell"

Eventuell, berichtet Wittschier, werde sie auch über das Studium hinaus am Institut bleiben. Bei einer Karriere in der Wissenschaft gelte es jedoch einiges zu beachten, warnt Jörn Müller: "Eine akademische Laufbahn bedeutet zwischenzeitlich auch eine finanzielle Frustration." Zudem müsse eine eigene wissenschaftliche Linie im Studienverlauf erkennbar sein. Und letztendlich ginge es auch in der Wissenschaft zu wie in vielen freien Berufen. "Eine Uni-Laufbahn ist wie ein Flaschenhals, durch den man sich durchzwängen muss. Suchen Sie sich einen Betreuer, der Sie irgendwo unterbringen kann", empfiehlt er.
So unterschiedlich die Berufsplanungen von Julia Wittschier und Uli Knüttgen also sein mögen - beide machen es richtig. Denn beide haben eine Vorstellung davon, wohin es beruflich gehen soll. Philosophisches Wissen, mehr oder weniger ausgeprägt, und die damit verbundenen Fähigkeiten können ein individueller Wegbereiter sein.
Doch nicht immer ist eine Karriere planbar. Wie bei Jörn Müller, dem ehemaligen Firmen-Ethiker. Wie er zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen gekommen sei? Das gehe auf einen Party-Smalltalk zurück, erzählt Müller. "Eigentlich dachte ich danach nur: ‚Abgehakt, war wenigstens kein langweiliger Abend.' Doch wenig später kam der Anruf."

      © Sinn auf Rädern/BelKom