Philosophie klingt nach brotloser Kunst, doch pragmatische Philosophen helfen ihren Mitmenschen im richtigen Leben – so zum Beispiel der Bonner Markus Melchers, der seit 1998 als „ambulanter Philosoph“ seine Dienste anbietet und das Ganze „Sinn auf Rädern“ nennt, weil er manchmal mit dem Fahrrad anrückt.
Nicht wenige Menschen denken bei Philosophie an Sätze wie diesen: „Der Entwurf des eigensten Seinkönnens ist dem Faktum der Geworfenheit in das Da überantwortet.“ Martin Heidegger, von dem dieser Wortverhau stammt, hat hoffentlich selber gewusst, was er damit meinte. Man könnte freilich auch den Braunschweiger Philosophen Gerhard Vollmer zu Wort kommen lassen: „Die Philosophen in Deutschland haben es versäumt, sich unentbehrlich zu machen, also zu zeigen, wozu man sie eigentlich brauchen kann.“ Auch Heideggers Abstraktions-Akrobatik verankert die Philosophie nicht im Alltag.
Viel besser kann das Markus Melchers. Seit 1998 bietet der 47-Jährige in Bonn einen Beratungs-Service an, den er pfiffig „Sinn auf Rädern“ nennt. Ihn hat schon an der Uni geärgert, wenn Professoren ihren Studenten den Praxisbezug nicht verdeutlichen konnten, den gerade die Philosophie in sich trägt. „Philosophen reflektieren gerne über das, was schon vor tausend Jahren gedacht worden ist, ohne es auf unsere Zeit herunterzubrechen“, bemängelt Melchers. Antike Denker wie Aristoteles hätten ihre Zeitgenossen in öffentlichen Debatten oft genug verblüfft und zum Umdenken bewegt. Melchers Kunden beschäftigt so ziemlich alles, was das Leben an Fragen aufwirft. Da würde ein Elternpaar gerne wissen, wel-che Werte es seinen Kindern vermitteln, ein anderes, ob es sein Kind taufen lassen soll. Und ein Manager sucht Beistand beim Klären der Frage, ob die Dinge wirklich so sind, wie er sie sieht. Wenn Melchers meint, er könne helfen, schwingt er sich zum vereinbarten Termin auf sein Rad und besucht den Klienten zu Hause. „Ich will den Wartesaal vermeiden“, sagt Melchers. Durch das Anklopfen an einer Praxistür entstünde ein hinderliches „Gefälle“ zwischen Philosoph und Kunde. Schon das Bemühen, „gegen Geld zu denken“, sei heikel genug. Manchen Ratsuchenden ist es lieber, beim Spazierengehen zu reden. Kein Problem: Dann wandeln Melchers und sein Klient eben am Rhein entlang. Entscheidend ist: „Philosophie findet nicht zwischen den Ohren statt, sondern dort, wo Menschen miteinander sprechen“, sagt der Sinn-Kurier.
Melchers: mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Kunden
Nach längerer Durststrecke kann Melchers vom „Sinn auf Rädern“ halbwegs leben. Bei den Banken ist er seinerzeit abgeblitzt, als er ein Darlehen zur Unternehmensgründung wollte. Geld verdienen könne er allenfalls „mit Trommel-Kursen und Psychotherapie“, habe der Bankangestellte gemeint. „Die fördern halt nur Handwerker oder Computer-Fritzen“, sagt Melchers ernüchtert.
Feste Preise hat er nicht; sein Honorar vereinbart er frei: „Ich frage meine Kunden, was ihnen das Gespräch wert ist“, sagt der radelnde Philosoph. Um sein Konzept bekannter zu machen, veranstaltet er seit 1998 jeden Monat ein Philosophisches Café im Bonner Kultur-Bistro „Pauke“, bei dem er vor manchmal raumsprengenden 80 Gästen um Fragen wie „Wie weiß ich, dass ich glücklich bin?“ oder „Wann darf ich lügen?“ geht oder auch einfach um „Gott“, „Schicksal“ oder „Einzigartigkeit“. Nach der De-batte kreist der Klingelbeutel. Hunderte solcher Veranstaltungen gab es inzwischen, Café-Ableger in Köln und kleineren Städten bei Bonn tragen die Freude am Nachdenken weiter. Und längst gibt es den Sinn-Kurier auch als Geschenk: „Denken schenken“ nennt Melchers seine neue Idee und empfiehlt sie „zum Geburtstag, zum Jubiläum, zur Verblüffung.“
Nicht nur als ambulanter Philosoph und Ausrichter des Philosophischen Cafés, auch inzwischen als zweifacher Buchautor regt der Bonner seine Mitmenschen zum Nachsinnen an. Zusammen mit seinem Fachkollegen und Freund Thomas Ebers hat Mel-chers beispielsweise ein Buch über das Philosophieren mit Kindern geschrieben („Wie kommen die Bäume in den Wald?“). Auch zwei weitere Bücher des Bonner Autorengespanns verraten, dass hier Philosophen am Werk waren: Vom „Wert der Wertedebatte“ heißt das eine; das andere, 2009 erschienene, trägt den Titel „Wertgefechte – eine Klarstellung“ – und beide liegen in einer orientierungslosen Quassel-Gesellschaft gut im Wind. Das hübscheste Buch der Bonner Sinnstifter ist jedoch eines mit einer Menge Augenfutter, das auch Jugendliche ansprechen soll: „WissensWelten Philosophie“. Nur 28 großformatige, üppige mit Zeichnungen versehene Seiten stark, bietet es auch dank seiner Ausklapptafeln einen lesenswerten, kurzweiligen Spaziergang durch die Ideengeschichte der Philosophie – ein wundervoller Einstieg in die als verschroben geltende und dabei doch so lebenspraktische Wissenschaft.
„Als Philosoph bin ich kein Therapeut, kann nicht heilen“
Was Melchers immer betont, gerade seinen Kunden gegenüber: Er sei als Philosoph kein Therapeut. „Heilen kann ich nicht“, sagt er. Er lehnt weitere Gespräche ab, „wenn das Problem ins Pathologische geht“, der Kunde wirr redet oder bedenklich aggressiv zu sein scheint. “Einsichtsfähig muss der Mensch zum Philosophieren schon sein“, sagt der Bonner Philosoph. Angst zu haben, dass die Menschen plötzlich keine Probleme mehr bei sich erkennen, braucht er ebenso wenig wie die Psychologenzunft. „Die zunehmende Vereinzelung setzt viele unter wachsenden Druck“, sagt Melchers.
Weder Esoterik noch immer neue Psychotherapien würden aber weiterhelfen; die Psychoanalyse verlängere gar die Unmündigkeit des Menschen, da sie ihn in der Opferrolle belasse. „Die Menschen werden lernen, dass sie auf ihren Verstand zurückgreifen sollten und auch dauerhaft können“, sagt Melchers zuversichtlich. Sein Wort in Gottes Ohr – oder auch in Platos, wenn es denn hilft.
Walter Schmidt |