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Das aktuelle Interview; Praxishandbuch leiten, führen, motivieren. November, Dezember 2008

Warum Führungskräfte Romane und Bücher über Philosophie und Religionen lesen sollten. Interview mit Praxishandbuch leiten, führen, motivieren – das Handbuch für den Vorgesetzten; November/Dezember 2008

Markus Melchers ist mit seiner Philosophischen Praxis „Sinn auf Rädern“ seit 1998 bundesweit tätig. Das Wort Philosophie stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Liebe zur Weisheit“ – und darum geht es im weitesten Sinne auch, wenn Melchers zu seinen „Gastgebern“ nach Hause kommt. Darüber hinaus organisiert Melchers Philosophische Cafés und ist im Zentrum für Palliativmedizin der Universität Bonn, Malteser- Krankenhaus „philosophischer Coach“ für Ärzte, Psychologen und Pflegekräfte.


VOR (Praxishandbuch leiten * führen * motivieren – Das Handbuch für den Vorgesetzten):
Herr Melchers, ist es nicht Zeitverschwendung, wenn Manager Romane lesen oder über philosophische Fragen diskutieren? 

Markus Melchers: Ist Golf spielen Zeitverschwendung? Richtig ist, wer liest hat für anderes keine Zeit. Was heißt Nützlichkeit? Ein Nutzen kann sich sehr kurzfristig, aber auch langfristig herausstellen. Im Beruf geht es meiner Meinung nach nicht nur um Weiterbildung im herkömmlichen Sinne, sondern auch um Selbstbildung: Manager erfahren beim Lesen von „Nicht-Fachliteratur“ eine neue Form des Umgangs mit sich selbst: „Ich bin frei in meiner Entscheidung, denn ich lese, aber nicht „um zu“. Ich glaube, niemand kann Menschen führen, wenn er sich nicht selbst führen kann. Wer von sich sagt „Ich arbeite, also bin ich“, besteht nur aus dem Beruf – das ist zu wenig. Die Persön lichkeit eines Menschen ist so vielfältig: Treue, Mut, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Standpunkte und moralische Vorstellungen gehören dazu. Charaktereigenschaften, die uns in Büchern – positiv wie negativ - vorgeführt werden.

VOR: Was können Führungskräfte lernen, wenn sie regelmäßig Bücher lesen, die nichts mit ihrem Fachgebiet und ihrer Arbeitswelt zu tun haben?

Markus Melchers: Einfühlsamkeit. Jeder Mensch hat nur ein Leben. Durch das Lesen (er)leben wir viele verschiedene Leben. Wir erhalten eine Ahnung davon, wie das Leben der anderen ist.  Das hilft uns, eine Sprache für uns und das Leben der anderen zu finden – zum Beispiel auch in einem schwierigen Mitarbeitergespräch. Beim Lesen lernen wir, unseren Sprachgebrauch zu schärfen. Die Welt wird vielfältiger, und ich kann sie genauer beschreiben. Anstatt „cholerisch“ empfinde ich einen Mitarbeiter dann vielleicht eher als unbeherrscht, maßlos oder zuchtlos.

VOR: Warum ist es wichtig, über das Gelesene auch zu sprechen?

Markus Melchers: Wenn Menschen über Bücher sprechen, die sie gelesen haben, wird klar, was sie verstanden haben. Das Sprechen über Literatur ist subjektiv. Jeder gibt unwillkürlich Intimes über sich preis: Welche Schwerpunkte setzt der Leser? Was ist ihm aufgefallen? Was beschreibt er ausführlich? Wie bewertet er das Beschriebene? Manager sind es nicht gewohnt, über solche Dinge zu sprechen. Viele Teilnehmer meiner Philosophischen Cafés empfinden es daher als sehr wohltuend, anders sprechen zu können. Sie verlassen ihre gewohnten Denk- und Sprachmuster. In der Literatur erfahren sie,  dass es möglich ist, selbst die kompliziertesten Sachverhalte einfach auszudrücken.

VOR: Die Harvard-Professorin Sandra J. Sucher fordert Unternehmen auf, Literatur-Zirkel für Manager anzubieten. Was halten Sie davon?

Markus Melchers: Wichtig wäre es, eine freiere Atmosphäre zu schaffen als z.B. in einem Meetingraum, am besten an einem Ort außerhalb des Unternehmens. Auch sollten die Teilnehmer aus einer Hierarchieebene stammen: Ich glaube nicht, dass ein Literaturzirkel funktioniert, wenn Chef und Mitarbeiter teilnehmen. Die Angst, etwas zu sagen, was einem schaden könnte, wäre zu groß.

VOR: Welche Bücher würden Sie empfehlen?

Markus Melchers: Ich würde nicht unbedingt komplette Bücher auf die Liste setzen, sondern z.B. einen Auszug aus den frühen Sokrates-Dialogen von Platon, z.B. über die Tapferkeit. Zunächst ist ein General voller Selbstsicherheit, die mit seiner Position verbunden ist. Im Verlauf des Dialogs beginnt er immer mehr, dies zu hinterfragen. Geeignet wären auch Bücher über andere Kulturen im Hinblick auf die Globalisierung, die vielfach heute die Arbeitswelt bestimmt. Gudrun Krämer: „Geschichte des Islam“, Stefan Weidner: „Mohammedanische Versuchungen“ würde ich hier empfehlen. Lesenswert ist auch Volker Perthes: „Orientalische Promenaden“.

VOR: Wenn es keinen Literaturzirkel gibt, was raten Sie Führungskräften: Wie viel und wie oft sollten sie lesen?

Markus Melchers: Lesen braucht Kontinuität. Lesen ist immer eine Chance, mit sich ins Reine zu kommen. Eine Grundlage für jede Führungskraft. Meine Empfehlung: Finden Sie jeden Tag einen guten Gedanken in einem Buch.


Interview: Anne Sengpiel

      © Sinn auf Rädern/BelKom