Jahreswechsel: Keine Zeit für gute Vorsätze, General-Anzeiger Bonn vom 31.12.2015 - 01.01.2016 |
Von Ebba Hagenberg-Miliu BONN. Die Meinungsforschung hat uns gerade wieder attestiert, von der "German" Angst" besessen zu sein. Mit dem Philosophen Markus Melchers sprach Ebba Hagenberg-Miliu.
Es geht wieder um, das Gespenst der "German Angst". Was sagen Sie zur aktuellen Meinungsforschung? Markus Melchers: Na, ja, "German Angst" ist schon ein starker und auch historisch besetzter Begriff. Und er ist abwertend gemeint - zumal aus der Perspektive derjenigen, die ihn im Laufe des zweiten Golfkriegs Anfang der 1990er Jahre kreierten. Die Übertragung auf die angebliche Reaktion der Bevölkerung in Deutschland auf Vogelgrippe, BSE oder den Klimawandel macht die Vokabel auch nicht besser. Zumal hier die Unterstellung einer überzeitlich verankerten, besonderen nationalen Mentalität, eines spezifisch deutschen Volksgeistes wirksam ist. Ich denke aber, dass dies weitgehend Denkfiguren des 19. Jahrhunderts sind.
Es geht um die Beschreibung öffentlich diskutierter Befürchtungen? Melchers: Am ehesten ließe sich von "kollektiven Grundbefindlichkeiten" sprechen. Dies aber ist für moderne Gesellschaften nun wirklich nichts Besonderes. Es herrscht dort für eine, mehrere oder alle Gruppen die Krise als Dauerzustand. Flapsig gesagt: Krise ist immer. Und dort, wo Krise ist, muss unter Unsicherheitsbedingungen entschieden werden. Für das eigene Leben und manchmal für das Leben der anderen. Soweit die Theorie.
Und die Praxis? Melchers: Im täglichen Leben helfen die theoretischen Erkenntnisse eher nicht, wenn das Gefühl von Angst nicht nur lähmend wirkt, sondern sich zur Steigerungserfahrung ausweitet. Wenn also Angstgemeinschaften gezielt aufgesucht und damit stabilisiert werden. Selbst dann noch, wenn der Befürchtungsgrund längst entfallen ist oder widerlegt wurde. Auch wenn sich das jetzt wie ein Selbstwiderspruch anhört: Vielleicht versteht man sich besonders gut in unserem Land auf Letzteres.
Gleichzeitig steigt bei uns erstmals wieder die Geburtenrate. Wie passt das zusammen? Melchers: Gut.
Wir sind durch Terroranschläge tief beunruhigt. Was können wir aus der Sicht eines philosophischen Praktikers gegen die Verunsicherung tun? Melchers: Allgemeine politische Ratschläge kann ich so gut oder schlecht wie jeder andere Bürger formulieren. Als philosophischer Praktiker aber habe ich es zumeist mit Einzelpersonen zu tun. Und hier lässt sich philosophisch - also ohne psychotherapeutische Absicht - prüfen, was es denn nun genau ist, was da verunsichert und warum. Im Rahmen einer Selbstbefragung, die auch eine Selbstbefragung durch mich sein kann.
Sie sagen: Lebensverläufe richten sich selten an den Forderungen der Vernunft aus... Melchers: Ja, sie schließen das Sinnwidrige mit ein. Und wenn Sie wissen, dass es kein Leben auf Probe gibt, dann liegen die Antiverunsicherungsmöglichkeiten schon etwas näher: Gelassenheit erlernen, Freundschaften pflegen und Geselligkeit üben. Hierzu aber muss man sich Zeit nehmen - sozusagen eine Selbstzeit. Das aber hört sich leichter an, als es im wirklichen Leben ist. Gegen die Verunsicherung theoretisch zu argumentieren, halte ich für eine Überheblichkeit, die den verunsicherten Menschen nicht ernst nimmt.
Die Zeit "zwischen den Jahren" gilt als ideal für die Besinnung... Melchers: Wer nur einmal nach den Feiertagen durch ein Kaufhaus geht, der muss sich schon sehr anstrengen, Besinnung, Nachdenklichkeit und Zeit und Raum für Muße zu entdecken. Und auch außerhalb sieht es nicht besser aus: Hektik, Planung und Termindruck sind nicht nur ein Großstadtphänomen. Ganz zutreffend wird in der philosophisch-soziologischen Literatur von "Beschleunigung" als globaler Erscheinung geschrieben. Oder gar die "Unruhe der Welt" analysiert. Nein, mit Besinnung hat dies alles nichts mehr zu tun.
Aber man fasst gute Vorsätze fürs neue Jahr. Ist das hilfreich? Melchers: Hm, denken Sie nicht auch, dass es ganz schön traurig wäre, wenn wir von einem vom Kalender vorgegebenen Vorsatzfassungsplan abhängig sind? Der Philosoph Seneca hat vorgeschlagen, dass der Mensch jeden Tag Vorsätze fasst und am Abend schaut, inwieweit diese Vorsätze durchzuhalten waren, und falls nicht, warum nicht. Dieses Modell kann man doch zumindest "zwischen den Jahren" einmal ausprobieren.
Es geht um die Frage der eigenen Lebensgestaltung? Melchers: Ja, noch mal à la Seneca: Schau dir das Leben an, wie du es gerne leben möchtest. Schau dir an, was in deiner Verfügungsmacht steht, was du ändern kannst, und schaue, wie du ein angemessenes Verhältnis zu dir und deinem Leben findest. Aber, und dies ist ein großes Aber: Diese Angemessenheit lässt sich schwerlich mit sich allein ausmachen. Nötig ist das Gespräch mit dem Partner und Freunden. Menschen, die dies können und tun, bezeichne ich als "mußefähig".
Hilft Philosophie auch gegen den grassierenden Hass? Melchers: Im Rahmen des schon etablierten Philosophierens mit Kindern sehe ich gute Ansätze. Im politischen Raum im engeren Sinne muss wohl der stete Hinweis genügen, woher unsere Vorstellungen von Zusammenleben und Demokratie stammen und wie sie sich argumentativ begründen und gegebenenfalls auch verteidigen lassen. Den hasserfüllten Menschen direkt mit einem philosophischen Argument zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen, gelingt wohl eher nicht.
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