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Doktor Selbst und Mister Ständig;arbeitsmarkt Bildung-Kultur-Sozialwesen 29|2011

Selbstständigkeit kann auch für Geisteswissenschaftler eine berufliche Alternative sein, fordert aber viel Kraft und Ausdauer. Realistische Planungen und Überbrückungsmöglichkeiten erleichtern den Einstieg.

Von Andreas Pallenberg

Viele Geisteswissenschaftler haben längst einschlägige Erfahrungen mit der Selbstständigkeit gemacht. Sie haben mal Nachhilfestunden gegeben gegen Cash auf die Hand, haben für lausiges Geld Kurse an Volks- hochschulen gegeben oder mal für ein Symbol-Honorar einen Artikel in der Regionalpresse gelandet. Gelegenheitsjobs eben, um die klamme Kasse aufzupeppen. Streng genommen war dies in jedem Fall eine selbstständige Erwerbstätigkeit mit allen Rechten und Pflichten. Das ist längst nicht allen klar. Manche werden erst über die Post vom Finanzamt mit der Aufforderung zur Deklarierung von Einkünften aus selbstständiger Arbeit über diesen ihren Status aufgeklärt.

Typisch sind solche Jobs in der Übergangszeit zwischen Studium und Beruf. Sie werden nicht unbedingt ernst genommen und führen auch nicht zur Identifikation mit dem Status eines Soloselbstständigen. Oft genug werden solche Honorartätigkeiten als Notlösungen akzeptiert, in der Berufsbiografie tauchen sie aber meist nicht auf. Die Prioritäten liegen woanders, nämlich bei den klassischen abhängigen Beschäfti- gungsverhältnissen, möglichst adäquat bezahlt, inhaltlich möglichst nahe am Studienfach und am liebsten als unbefristetes Beschäftigungsverhältnis.

Wie die meisten Absolventen geistesund sozialwissenschaftlicher Fächer schon am eigenen Leib erfahren mussten, klappt es aber nicht immer sofort mit den Traumjobs. In der Regel gibt es einen recht müh- samen Weg über Praktika, befristete und unterqualifizierte Jobs als Einstieg in die Berufswelt. Je nach Ausdauer und Erfolg stellt sich aber für die meisten Jungakademiker spätestens nach einem Jahr mit sporadischen Jobs und bei schwindender Hoffnung auf den baldmöglichen Übergang in einen Traumjob die Frage nach den beruflichen Alternativen.

Manche reduzieren dann zähneknirschend ihre Ansprüche an die Inhalte und an die Bezahlung, andere verändern ihre Strategie. Manche studieren weiter und verschieben das Problem auf später, andere promovieren in der Hoffnung auf bessere Zeiten und wieder andere zieht es voller Verheißung ins gelobte Ausland.

Es gibt aber auch welche, die über ihre sporadische Freiberuflichkeit und über Honorarverträge auf den Geschmack gekommen sind. Sie wittern in der Selbstständigkeit durchaus ihre Chance und entwickeln eine Idee.

Wenn, dann aber richtig!

Für Rechtsanwälte, Ärzte oder Architekten, also klassische Branchen mit hohem Freiberufleranteil, wird die Frage, einmal selbstständig oder abhängig beschäftigt sein zu wollen, schon während der akademischen Ausbildung ausgelotet. Hier lockt die Freiberuflichkeit sogar mit der Chance auf höchst zufrieden stellende Einkommensverhältnisse, wenngleich sich die Aus-sichten darauf schon lange drastisch verschlechtert haben. Ein Dr. phil. als Selbstständiger, das kommt dann aber doch nur wenigen in den Sinn. Apropos Sinn! Markus Melchers, von Beruf praktizierender Philosoph in Bonn und Umgebung, hat diesen tatsächlich zur Dienst-leistung gemacht. „Sinn auf Rädern“ heißt sein Unternehmen. Er bietet niveauvolle Konversa-tion über Gott und die Welt im Köln-Bonner Raum an (wir berichteten). Nach eigenem Bekunden kommt er damit halbwegs über die Runden. Immerhin.

Nicht jede Freiberuflichkeit von Geisteswissenschaftlern wird sich auf solch exotische Nischen stützen können. Im Prinzip kann aber alles, was der Markt hergibt, zum Inhalt des eigenen Start-ups werden. Völlig ausgestiegene Ideen von der Gründung eines vegetarischen Restaurants über eine Kinderwagen- vermietung bis zur Reiseagentur für Senioren können funktionieren, haben aber wenig mit den Inhalten eines geisteswissenschaftlichen Studiums zu tun. Die Gründung eines Literaturcafes liegt da schon näher, wirft aber schnell die Frage auf, ob es sich dabei um eine Existenzgründung mit ernsthaften Gewinn-erzielungsabsichten oder um ein Hobby (im Finanzamtsjargon: „Liebhaberei“) handelt. Das ist nicht zuletzt eine Frage des  vorhandenen finan-ziellen Polsters oder des Sponsorings aus dem familiären Umfeld. Wer dagegen ernsthaft und auf Dauer eine tragfähige Selbstständigkeit aufbauen möchte, muss eine Geschäftsidee entwickeln, die zumindest in absehbarer Zeit den Lebensunterhalt finanziert.

Mein Institut

Ein Nachhilfeinstitut ist schnell gegründet, ein Übersetzungsbüro ebenfalls. Auch Angebote, auf freiberuflicher Basis Texte zu produzieren, zu lektorieren oder die Produktion von Printmedien zu koordinieren, gehören zu den einfacheren Gründungen. Das Sympathische daran ist ja, dass man mit solchen Dienstleistungen allein und sofort anfangen kann. Auch wenn bei solchen Soloselbstständigen der Investitionsbedarf schnell unterschätzt wird, lässt sich ein solches „Unter-nehmen“ meist in den vor- handenen Räumen und mit dem bestehenden Equipment realisieren. Die hohe Klippe, eine Bank von der finanziellen Tragfähigkeit einer Idee zu überzeugen, um auf diesem Weg einen passenden Kredit für erste Investitionen zu bekommen, fällt damit flach. Oft genug führt dies aber auch zu einem allzu leichtfertigen Umgang bei der Abschätzung des mög-lichen Erfolges. Das Fatale daran: Man muss eigentlich niemanden von der Idee überzeugen, noch nicht einmal sich selbst. Insofern sei der Rat aller Experten vorweg- genommen: Wer sich auf eine existenzsichernde Selbstständigkeit einlassen will, muss ein schlüssiges Konzept entwickeln, dies möglichst schriftlich fixieren und mit erfahrenen Geschäftsleuten diskutieren. Selbst dann, wenn man es ohne Aufwand als Einzelkämpfer „einfach mal probieren“ möchte. Dazu gehört immer eine ausgearbeitete Geschäftsidee, die sich zunächst an der Frage orientieren sollte, was man kann und was man selbst gerne machen möchte. Wer hier bereits gute Ideen hat und diese nicht nur hobby-mäßig betreiben möchte, sollte sich der Kernfrage widmen: Braucht der Markt das? Wer selbst bei dieser ernüchternden Frage noch frohen Mutes ist und hinreichend Umsatz wittert, sollte sich trotzdem die Mühe machen, seine Geschäftsidee schließlich zu einem Existenzgründungskonzept auszubauen. Zu diesem so genannten „Businessplan“ gehört immer auch eine gezielte (Mini-)Marktforschung mit Konkurrenzanalyse und eine erste Prognose zur Einnahmen-Ausgaben-Bilanz. Spätestens dann muss man konkret werden und kann nichts mehr über den Daumen peilen.

Was brauche ich?

Die einfachste Berechnung ist dabei noch die Aufstellung des eigenen und persönlichen Finanzbedarfs. Alles, was an festen Kosten für Wohnen, Heizen, Telekommunikation, Versicherungen, evtl. Verpflich- tungen anderen gegenüber regelmäßig aufgebracht werden muss, sind neben den Kosten für die Lebenshaltung (Nahrung, Kleidung, Kultur ...) feste Positionen die man sich nicht beliebig schönrechnen kann.

Gerade wenn man sich mit einem bescheidenen Lebensstandard begnügen kann, sollte man seine Lebenshaltungskosten nicht als endlos komprimierbare Variable betrachten, die man je nach Ge-schäftergebnis beliebig nach unten anpassen kann. Maria Kräuter schreibt dazu in ihrer Broschüre Geisteswissenschaftler als Gründer: „Detaillierte Zahlenaufstellungen machen auch für Journalisten, Lektoren, Künstler oder Übersetzer in jedem Fall Sinn. Selbst wenn man keine größeren Investitionen plant und kein Kredit bei der Bank beantragt wird: Mit einem guten Finanz- und Liquiditätsplan hat man ein hilfreiches Controlling-Instrument, mit dem im Idealfall auch ständig gearbeitet wird.“

Geht die Rechnung auf?

Im gleichen Kapitel erläutert die Beraterin eine einfache Faustregel, mit der man herausfinden kann, ob die Rechnung überhaupt aufgehen kann. Um ein „Wunschnettogehalt“ (realistischer vielleicht „Mindest- bedarfsgehalt“) pro Monat zu erzielen, muss grundsätzlich etwa der dreifache Umsatz erwirtschaftet werden. Wer sich über die hohen Umsätze zur Erzielung eines gewünschten Nettoeinkommens gewundert hat, der hat vielleicht nicht an die folgenden Kosten gedacht: Beiträge für die Altersvorsorge (die Existenz will ja auch gesichert sein, wenn man mal nicht mehr arbeiten kann), die teure Krankenversicherung für Selbstständige (da gibt es keinen Arbeitgeberanteil) oder die zu entrichtenden Steuern (Einkommens-, Umsatz und evtl. die Gewerbesteuern). Hinzu kommen dann noch Kosten für Literatur, Fachzeitschriften, Reisen und andere Werbungskosten, die man zwar vom zu versteuernden Gewinn abziehen kann, die aber dennoch erst mal komplett aufgebracht werden müssen. Der notwendige Umsatz wird dann auf das Jahr hochgerechnet. Das wären bei angestrebten sehr bescheidenen 1.000 Euro pro Monat schon 36.000 Euro im Jahr. Dann kommt die verfügbare Arbeitszeit  ins Spiel. Wer auf Dauer nicht in der Nacht oder an Wochenenden arbeiten will, sich auch einen Jahresurlaub gönnen möchte, Feiertage nicht grundsätzlich als Arbeitstage betrachtet und auch nicht ausschließen kann, ein paar Tage wegen Krankheit nicht arbeiten zu können, der kommt auf ca. 210 verfügbare Ar-beitstage im Jahr. Für jeden dieser Arbeitstage sollte man dann, so die Expertin, maximal sechs Stunden bezahlte Arbeit ansetzen, da auch Akquise- und Verwaltungsarbeit geleistet werden muss. Wenn man nun die vorhandenen Arbeitsstunden mit dem notwendigen Umsatz in Relation setzt, dann müsste man schon einen durchschnittlichen Stundenlohn von 28,50 Euro für jede Arbeitsstunde in Rechnung stellen.

Honorarfragen

Dieser Stundensatz ist für eine akademische Dienstleistung keineswegs hoch. Jeder ordentliche Hand- werker ist sich und seinen Kunden deutlich mehr wert. Es gibt auch Honorare für exklusive Beratungs-dienstleistungen, die mehrere hundert Euro abwerfen – pro Stunde. Damit ließe sich selbst dann leben, wenn man nur wenige Stunden pro Woche zum Stundensatz von 100 Euro oder ein paar Tage pro Woche zum entsprechenden Tagessatz von 500 bis 800 Euro verkauft bekäme. Schön wär‘s! Solche nach oben offenen Spitzensätze sind für Geschäftseinsteiger nur höchst selten zu erzielen. Die Realität sieht anders aus. Man muss sich z.B. im selbst gegründeten Nachhilfeinstitut mit Stundensätzen von 20 bis 30 Euro begnügen und arbeitet damit schon hart an der Grenze des Existenzminimums. Dolmetscher können je nach Exklusivität der Sprache und Prominenz der Auftraggeber ebenfalls recht lukrative Stunden- und Tagesätze verdienen, wer aber als Übersetzer Texte von einer Weltsprache in eine andere übersetzt, wird sich mit der Billig-Konkurrenz aus fernen Ländern im world wide web auseinander setzen müssen. Dann steht der freiberufliche Sprachdienstleister schnell vor der Frage, ob er sich auf dieses Dumping einlässt, um an Aufträge zu kommen oder ob er auf ein solides Honorar besteht, das aber nur selten zu einem Auftrag führt. Solche wenig verlockenden Aussichten sind aber über eine solide, und das heißt schonungslose, Konkurrenzanalyse weitgehend auszuschließen. Zugegeben: Die oben angestellte Rechnung ist ernüchternd. Sie soll schließlich davor bewahren, sich Illusionen über die Wirtschaftlichkeit einer Geschäftsidee zu machen. In ihrer Kalkulation ist die besagte Faustregel deshalb auch sehr „konservativ“ und geht von Annahmen aus, denen man zumindest als enthusiastischer Gründer nicht in allen Details folgen muss.

Gründergeist

Muss das also wirklich sein mit dem Faktor 3 bei der Berechnung des nötigen Umsatzes? Grundsätzlich ja, schon wegen der vielen zu entrichtenden Nebenkosten (s.o.). Aber ... man muss bzw. will ja auch in der Gründungsphase mehr arbeiten, als ein normaler Angestellter mit seinem Acht-Stunden-Tag.

Durchgearbeitete Nächte haben ja durchaus etwas Betörendes und zeugen vom ungestümen Einsatz des Jungunternehmers. Man arbeitet schließlich für die eigene Sache. Auch die in der Modellrechnung berücksichtigten Nebenkosten sehen ja betriebsbedingte Aus-gaben wie marktübliche Miete für Büro, Telekommunikationgebühren sowie weitere Kosten vor. Diese fallen bei einem Start-up, das in den eigenen vier Wänden betrieben wird, aber nicht an, zumindest nicht zusätzlich. Hier lässt sich die Rechnung für die schwierige Einstiegsphase von verschiedenen Seiten durchaus etwas drücken, so dass auch mit weniger bezahlten Stunden und mit geringeren Stundensätzen die Rechnung erst mal aufgeht. Alle Gründungs- berater gehen ja auch davon aus, dass die ersten Jahre einer Neugründung fast immer eine Bilanz mit roten Zahlen aufweist.

Eine auf Dauer belastbare Tragfähigkeit der Selbstständigkeit stellt sich dagegen erst später ein. Geduld ist also gefragt, wenn man sich auf das schwierige, aber auch interessante Feld der Selbstständigkeit einlässt. Absolut hilfreich ist dabei der Enthusiasmus, der Glaube an die gute Idee, das Gefühl, sein eigener Chef zu sein und sich nach eigenen Vorstellungen beruflich entfal-ten zu können. In den USA, wo das Gründen mangels starker Reglementierungen immer noch deutlich leichter fällt als bei uns, steht dieser Gründergeist auch im Vordergrund der Motivation. Dort ist die Schwelle, etwas zu wagen, auch deutlich geringer, weil ein Scheitern ganz anders bewertet wird. Wenn etwas nicht geklappt hat, dann macht man es eben an- schließend besser.

Selbstständig statt arbeitslos

Auch in Deutschland entwickelte sich in den letzten Jahren eine neue Welle von Selbstständigkeit. Einmal, weil sich die Einmal, weil sich die Arbeitsstrukturen eindeutig weg von der abhän-gigen Beschäftigung und hin zu freien Dienstleistungen verändert haben. Aber auch, weil gerade für Empfänger von Lohnersatzleistungen wie ALG I und ALG II Unterstützungsmöglichkeiten entwickelt wurden, um insbesondere Langzeitarbeitslosen eine Alternative für den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Da die Vermittlungsbemühungen bei vielen Transfergeldbeziehern aus verschiedenen Gründen nicht immer Aussicht auf Erfolg haben, wurden für diese Personengruppe finanzielle Anreize geschaffen, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Und die Bilanz dieser Überbrückungsgelder ist überaus positiv. Ihr Grundsatz ist der Gedanke, dass die größte Klippe, nämlich die schwierige erste Zeit der Selbstständigkeit, finanziell abgefedert werden soll. Umso bedauerlicher ist es, dass genau diese Instrumente aktuell wieder zurückgefahren wurden („Gründungszuschuss, gekappt“ Heft 24/11) obwohl die Bilanz dieser Instrumente von Fachleuten (z.B. dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufssforschung, IAB Kurzbericht 11/2011) positiv bewertet wurde.

Übungsphase

Aber auch ohne Inanspruchnahme solcher Übergangsgelder (oder in Kombination mit diesen)  lassen sich für Hartz IVBezieher sanfte Übergänge in die Selbstständigkeit realisieren. Für Be-zieher von Arbeitslosengeld ist es ja schon immer möglich gewesen, Nebenverdienste zu erzie-len. Solange diese im Rahmen eines Freibetrages (100 Euro/Monat) bleiben, sind sie völlig un-schädlich für den Bezug der Transferleistung. Übersteigen sie diesen, werden die Nebeneinkünf-te zunehmend verrechnet. Schon in diesem Rahmen gibt es große Gestaltungsmöglichkeiten, die schon sehr viel mit der betriebswirt- schaftlichen Denke von Selbstständigen zu tun haben. So gilt es nämlich, nicht die Einnahmen aus selbstständiger Nebentätigkeit komplett anzugeben, son-dern lediglich den Gewinn nach Abzug der damit verbundenen „Werbungs“- Kosten. Somit hat ein ALG II-Bezieher, der eine Einnahmen/Ausgaben- Bilanz anfertigt, schon wesentliche Operationen eines Soloselbstständigen vollzogen. Wenn dann der zu berücksichtigende Gewinn im Rahmen des Freibetrages bleibt, hat man die Sache verstanden und kann sein „Geschäft“ im be-scheidenen Umfang weiter betreiben. Auf diese Weise lässt sich z.B. die anteilige Miete für das Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung mitfinanzieren. Wenn dann das Geschäft Fahrt auf-nimmt und nicht mehr zu verleugnen ist, dass man der Vermittlung in den Arbeitsmarkt nicht mehr hinreichend zur Verfügung steht (wer 15 Stunde und mehr pro Woche arbeitet, ist nicht mehr arbeitslos!), dann fällt man unweigerlich auf die eigenen Füße. Das heißt aber nicht, dass man sich sofort vollständig von der Arbeitsverwaltung verabschieden muss. Man sollte viel mehr die Behörde in den Plan einweihen und um Förderung nachfragen. Diese umfasst ja nicht nur die mögliche finanzielle Unterstützung im Ermessen der Fallmanager, sondern auch Beratung und Coaching durch Experten.

In dieser Phase bleibt man in der Regel weitgehend unbehelligt von Vermittlungsangeboten un-terschiedlichster Art, um sich dem Aufbau der Selbstständigkeit widmen zu können. Und für die Agentur für Arbeit ist es zumindest die zweitbeste Lösung. Wenn sie schon keine versicherungspflichtige Arbeit vermitteln kann, so wird sie einen erfolgreichen Selbstständigen doch irgendwann von der Auszahlungsliste streichen können. Und: Ein Arbeitsloser weniger in der Statistik!

Aber auch wenn alle möglichen Unterstützungen ausgelaufen sind, ist man als Selbstständiger noch nicht vollkommen abgenabelt von möglichen Unterstützungen. Wer mit seinem Geschäft seinen Lebensunterhalt noch nicht einmal auf dem Niveau der Grundsicherung (Hartz IV-Satz) erwirtschaften kann, hat als „Aufstocker“ genauso wie Angestellte in Billiglohnbranchen An-spruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. Allerdings sind den Behörden diese Aufsto-cker inzwischen ein Dorn im Auge. Da wird von Missbrauch (Schwarzarbeit) und Mitnahmeeffekten getönt, und man will seitens der Behörde – als gäbe es nichts besseres zu tun – zukünftig näher hinsehen. Das andauernde Aufstocken soll gerade bei Freiberuflern kritisch beäugt wer-den, um nicht zum Dauerzuschuss zu werden. So kann die Agentur sich irgendwann auch auf dem Standpunkt stellen, dass eine versuchte und durch Zuschüsse finanzierte Selbstständigkeit auf Dauer wider Erwarten doch nicht tragfähig wird. Konsequenz: Die Aufstockung wird eingestellt, der vormals Selbstständige „zur Probe“ muss dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen und wird nach allen Regeln der „Kunst“ vermittelt. Investition in Bekanntheit Von jungen Soloselbst-ständigen, die weder ein Büro anmieten und Waren einkaufen müssen oder sofort Personalkosten haben, wird oft unterschätzt, wie viel es kostet, die neue eigene Dienstleistung offiziell und publik zu machen. Da muss eine professionelle Homepage gebaut (und gepflegt!) wer-den, da gibt es  Kosten für das Schalten von Anzeigen, das Drucken von Flyern oder Werbepostkarten, da muss in neue lizenzierte Software, in einen aktuellen Laptop, in Versicherungen und in Verbandsmitgliedschaften investiert werden. Da kommen schnell ein paar Tausender zusammen. Zuwenig, um die eigene Bank damit zu behelligen, aber zuviel, um es dem laufenden Haushalt abzuzwacken. Es gibt aber für ALG-Bezieher die Möglichkeit (keinen Anspruch!) im Rahmen der Eingliederungshilfen auch hierfür Zuschüsse zu bekommen.

Aber das Geld für solche Zwecke ist ebenso begrenzt wie das Ermessen der meisten Fallmanager. Eiserne Regel: Beantragen muss man solche Zuschüsse immer, bevor die Kosten anfallen. Bei einer Gründung geht es aber nicht nur um Zahlen und Geld, sondern auch um Recht und Paragrafen. Sogar der Einzel-kämpfer, der seine Dienstleistung vom Wohnzimmer aus auf professionelle Füße stellen will, muss sich z.B. auch mit Rechts- und Steuerfragen auseinandersetzen. Ein Graus für alle, denen Juristendeutsch und betriebswirtschaftliche Kleinkariertheit schon immer wie eine fremde Welt vorkamen. Und wer sich lieber mit Gleichgesinnten zusammentut, sollte sich frühzeitig über die verschiedenen möglichen Rechtsformen bei der Gründung von Mehrpersonengesell-schaften erkundigen. Dabei geht es um mehr als um die Vor-stellung einer Bürogemeinschaft. Die kann man auch als Soloselbstständiger mit anderen haben, mit denen man nicht das Geschäft, wohl aber die Infrastruktur, z.B. einer Büroetage, teilt. Wer aber sein Risiko auf verschiedene  Schultern verteilen will und mit guten Freunden ein Dienstleistungsunternehmen, zum Beispiel eine Künstleragentur, aufbauen möchte, der muss sich u.a. auch Gedanken um die Rechtsform, das Risiko, die Haftung und um weitere Fragen der Kooperation machen. Wer sich systematisch und umfassend auf seine Freiberuflichkeit vorbereiten möchte, findet dazu eine kompakte Anleitung in unserer Broschüre „Geisteswissenschaftler als Gründer“ von Dr. Maria Kräuter. Alle Angaben dazu finden Sie auf der Rückseite dieses Heftes.

Nach Lektüre dieser Anleitung wissen Sie, ob Sie den Schritt in die Selbstständigkeit weiter verfolgen wollen oder ob sie lieber die Finger davon lassen wollen. Unbedingt empfehlenswert für die Gründung aus der Arbeitslosigkeit sind auch die Leitfäden für Arbeitslose vom Arbeitslosenprojekt TuWas aus dem Fachhoch-schulverlag, Frankfurt/M. Jedes Jahr aktualisiert, wenden sich diese „gelben Leitfäden“ mit ihrer verständlichen Rechtsberatung entweder an ALG I- oder an ALG II- Bezieher.

      © Sinn auf Rädern/BelKom