Leben und Denken reflektieren, interpretieren und diskutieren 19.03.2024
   Start | Praxis | Pressespiegel | Bücher | Referenzen | Links | Impressum |

  

-› Seite Drucken  

„Bitte widersprechen Sie mir!“ Interview mit m-e-n-s-a (Schwäbische Zeitung), Ausgabe 05.2008

Markus Melchers ist praktischer Philosoph. Seit zehn Jahren lädt er Menschen in sein Philosophisches Café ein, um mit ihnen den Sinn des Lebens zu ergründen. Eine Veranstaltung nicht nur für Akademiker.

Philosophie gilt als brotlose Kunst. Doch den Wunsch vieler Menschen, dem Leben einen tieferen Sinn abzugewinnen, weiß der Bonner Markus Melchers seit nunmehr zehn Jahren auf ganz besondere Weise umzumünzen. Jeweils einmal pro Monat bietet der studierte Philosoph in einigen rheinischen Städten sein Philosophisches Café an – eine von ihm moderierte, zweistündige Diskussion mit oftmals 30 bis 60 Interessierten über Themen wie Langeweile, Egoismus oder Weisheit. Der Eintritt ist frei, am Ende lässt Melchers ein Brotkörbchen herumgehen und freut sich über Spenden.
Stets leitet der 45-Jährige das Thema des Abends mit drei Zitaten ein. Das können Aussagen oder Textzeilen von Philosophen wie Kant und Sokrates sein, aber auch Bonmots von Schriftstellern wie Oscar Wilde oder auch mal ein sinniger Reklamespruch. Dann wartet der praktische Philosoph auf Wortbeiträge.  Und die kommen immer. Und nicht zu knapp.

Herr Melchers, worauf muss sich gefasst machen, wer Ihr Philosophisches Café besucht?
Auf zwei Stunden kontroverse, faire, höfliche, lebhafte, anregende, überraschende Diskussion. Und gelacht wird auch.

Was sind das für Leute, die da kommen?
Von den meisten weiß ich nicht, welchen Beruf sie ausüben. Ich weiß aber, dass es ein Vorurteil ist, nur Akademiker könnten philosophieren.

Hat sich das Publikum seit 1998 geändert?
Heute hält sich die Anzahl der weiblichen und männlichen Teilnehmer in etwa die Waage. Am Anfang waren die Frauen in der Überzahl. Früh verschwunden sind diejenigen, die das Philosophische Café mit einer therapeutischen Selbsterfahrungsgruppe verwechselten.

Warum kommen die Menschen überhaupt zu so einer kopflastigen Veranstaltung, wonach suchen sie?
Wenn „kopflastig“ bedeutet, dass nachgedacht wird bevor gesprochen wird – ja, dann ist diese Veranstaltung kopflastig. Aber das wird von allen als Vorteil empfunden. Wenn „kopflastig“ heißen soll, dass hier nur Theorie vermittelt wird, dann stimmt dies nicht. Das Philosophische Café ist kein Seminar. Es geht nicht um Noten und Zeugnisse. Gesucht wird vielmehr die Gelegenheit zum gemeinsamen Denken. Bei manchem steht auch die Erprobung eigener Gedanken im Vordergrund. Eine Gelegenheit, die sich in der Arbeitswelt wohl nicht so oft bietet.

Und welches waren die größten Erfolge?
Ich halte es für einen Erfolg, dass diese Veranstaltung zehn Jahre alt geworden und kein Ende abzusehen ist. Wenn ich sagen soll, welche Themen den größten Zuspruch fanden, dann sieht die Rangliste so aus: „Was ist der Mensch?“, Politik und Ehrlichkeit, Willensschwäche, Unsterblichkeit und „Gibt es eine weibliche Moral?“

Gehen Ihnen nicht allmählich die Themen aus?
Ganz klar nein. Denn das Philosophische Café ist so konzipiert, dass es auch auf aktuelle Ereignisse reagieren kann. Hinzu kommt, dass von Teilnehmern Vorschläge an mich herangetragen werden. Und die Philosophie selbst ist so vielfältig, dass ich da keine Bedenken habe.

Worauf müssen Sie als philosophischer Gesprächsmoderator während der Veranstaltung achten?
Da ich mit drei sich widersprechenden Zitaten die Veranstaltung eröffne, ist die Diskussion quasi sofort da. Und dann versuche ich die Äußerungen zu bündeln, vorgetragene Positionen philosophisch einzuordnen und selbst mit angreifbaren Thesen ins Gespräch einzugreifen. Der Satz, den ich in meiner Doppelrolle als Moderator und Fachkundiger am weitaus häufigsten verwende, lautet: Bitte widersprechen Sie mir!

Gewinnen Sie selber nach 120 Veranstaltungen denn noch Erkenntnisse, oder ist alles nur noch gedankliche Routine?
Einer allein kann weder alles denken noch durchdenken, auch wenn das manch ein Philosoph in der Vergangenheit anders sah. Kein Denker ist dummheitsimmun. Und Philosophie findet nicht nur an Universitäten und Akademien statt.

Wie bereiten Sie sich auf eine Veranstaltung vor?
Lesen, lesen, lesen. Und immer die Übersicht behalten.

Sie arbeiten auch als praktischer Philosoph, machen Hausbesuche oder Spaziergänge mit Kunden, wobei sie gegen Bezahlung versuchen, mit ihm gemeinsam gedankliche Probleme zu erhellen. Was kann der Beitrag der Philosophie zu einem gelingenden Leben sein?Philosophie kann klären, was unter einem gelingenden Leben überhaupt zu verstehen ist.
Walter Schmidt

      © Sinn auf Rädern/BelKom