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Widerspruch erwünscht: Fair, höflich, lebhaft; Aachener Nachrichten vom 28. August 2008

Philosoph wird man nicht, um reich zu werden. Doch den Bedarf vieler Menschen, dem Leben einen tieferen Sinn abzugewinnen, weiß der Bonner Markus Melchers seit zehn Jahren auf überraschende Weise umzumünzen.

VON WALTER SCHMIDT

Bonn. Am Ende lässt er immer den Brotkorb herumgehen. Und das passt gut zu dem Vorurteil, Philosophie sei eine brotlose Kunst. Der Brotkorb ist tatsächlich leer, doch wenn er seine Runde durch das oft vollbesetzte Nebenzimmer des Bonner Bistros „Pauke Life“ gemacht hat und wieder bei Markus Melchers anlangt, dann klimpern darin etliche Münzen und auch so mancher kleine Schein.
Jeweils einmal pro Monat bietet der studierte Philosoph in Bonn und einigen anderen rheinischen Städten sein Philosophisches Café an – eine von ihm moderierte, zweistündige Diskussion mit oftmals 30 bis 60 Interessierten über Themen wie Langeweile, Egoismus oder Weisheit. Der Eintritt ist frei, am Ende aber freut sich Melchers über Spenden.

Mit drei Zitaten geht’s los

Stets leitet der 45-Jährige das Thema des Abends mit drei Zitaten ein. Das können Aussagen oder Textzeilen von Philosophen wie Kant und Sokrates sein, aber auch Bonmots von Schriftstellern wie Oscar Wilde oder auch mal ein sinniger oder absurder Reklamespruch. Dann wartet der Philosophie-Praktiker auf Wortbeiträge. Und die kommen immer. Und nicht zu knapp.

Wer sich auf Melchers und eine Vorführung praktischer Philosophie einlässt, müsse sich „auf zwei Stunden kontroverse, faire, höfliche, lebhafte, anregende, überraschende Diskussion“ einlassen, sagt der gebürtige Koblenzer, um vorsorglich hinterherzuschicken: „Und gelacht wird auch.“

Er sagt das auch, um jenen Mut zu machen, die nicht sämtliche Schriften Platos oder Heideggers aufzählen können. „Es ist ein Vorurteil, nur Akademiker könnten philosophieren“, sagt Melchers. Altersgemäß philosophieren kann man schon mit Kindern, was der nahe Aachen aufgewachsene Wahl-Bonner weiß, denn er hat zusammen mit einem Kollegen vor Jahren das Buch „Praktisches Philosophieren mit Kindern“ geschrieben. Die Frage, warum es Menschen überhaupt zu einer doch recht kopflastigen Veranstaltung zieht, pariert Melchers souverän: Wenn „kopflastig“ bedeute, „dass nachgedacht wird, bevor gesprochen wird – ja, dann ist diese Veranstaltung kopflastig. Aber das wird von allen als Vorteil empfunden.“

Keineswegs werde bei seinen philosophischen Abenden nur Theorie vermittelt. Das Philosohische Café sei kein Seminar. „Gesucht wird vielmehr die Gelegenheit zum gemeinsamen Denken; bei manchem steht auch die Erprobung eigener Gedanken im Vordergrund – eine Gelegenheit, die sich in der Arbeitswelt wohl nicht so oft bietet.“ Eine hübsche Untertreibung.

In den ersten Jahren nach dem Start 1998 waren die Frauen unter den Gästen noch in der Überzahl. „Heute hält sich die Anzahl der weiblichen und männlichen Teilnehmer in etwa die Waage“, sagt Melchers zufrieden. Früh verschwunden seien „diejenigen, die das Philosophische Café mit einer therapeutischen Selbsterfahrungsgruppe verwechselten“.

„Es ist ein Vorurteil, nur Akademiker könnten philosophieren.“

Dass Themen komplett floppten, hat Melchers eigenem Bekunden nach nicht erlebt. Die Rangliste der Publikumslieblinge unter den gewählten Themen sähe hingegen so aus: „Was ist der Mensch?“, „Politik und Ehrlichkeit“, „Willensschwäche“, „Unsterblichkeit“ und „Gibt es eine weibliche Moral?“ Angst, dass ihm die Themen allmählich ausgehen, muss Markus Melchers nicht haben, „denn das Philosophische Café ist so konzipiert, dass es auch auf aktuelle Ereignisse reagieren kann“. Hinzu kommt, dass von Teilnehmern Vorschläge an ihn herangetragen werden. „Und die Philosophie selbst ist so vielfältig, dass ich da keine Bedenken habe.“

Auch seine Eröffnung zu Beginn der zwei Stunden Diskussion hat er nicht geändert. „Da ich mit drei sich widersprechenden Zitaten die Veranstaltung eröffne, ist die Diskussion quasi sofort da.“ Danach versuche er, „die Äußerungen zu bündeln, vorgetragene Positionen philosophisch einzuordnen und selbst mit angreifbaren Thesen ins Gespräch einzugreifen“. Der Satz, den er in seiner Doppelrolle als Moderator und Fachkundiger am weitaus häufigsten verwen-de, laute: „Bitte widersprechen Sie mir!“

Langeweile will bei ihm zum Glück nicht aufkommen. Auch nach 120 Veranstaltungen bleibt es auch für den immens Belesenen selber noch spannend und erkenntnisreich. „Einer allein kann weder alles denken noch durchdenken, auch wenn das manch ein Philosoph in der Vergangenheit anders sah. Kein Denker ist dummheitsimmun.“ Außerdem finde Philosophie nicht nur an Universitäten und Akademien statt.

Denkbar einfach ist die Vorbereitung des philosophischen Praktikers auf seine Veranstaltungen. „Lesen, lesen, lesen. Und immer die Übersicht behalten.“ Natürlich kann Melchers von den Spenden im Brotkorb oder anderen Sammelhilfen nicht leben. Er arbeitet auch als praktischer Philosoph, macht Hausbesuche oder Spaziergänge mit Kunden, die ihn dazu gegen Bezahlung einladen, um für sich ein gedankliches Problem zu erhellen – oder um einen Freund oder die Partnerin zu überraschen. Wenn es ihm bezahlt würde, käme der Bonner Nachdenker auch nach Berlin, und die eine oder andere Firma hat ihn für Impulsreferate und dergleichen auch schon engagiert.

Das führt zu der Frage, was an Melchers’ Diensten seinen Kunden eigentlich ihr Geld wert ist. Kann Philosophie dabei helfen, ein gelingendes Leben zu führen? Melchers’ Antwort darauf könnte so oder ähnlich von Sokrates stammen: „Philosophie kann klären, was unter einem gelingenden Leben überhaupt zu verstehen ist.“

Und mit einem Philosophen könne erörtert werden, „welchen konkreten Unterschied es im wirklichen Leben macht, eine Vorstellung oder eine Annahme für wahr zu halten. Dies hat schon einige Denker der Antike beschäftigt.“

Der Philosoph Markus Melchers (45) bietet sein Philosophisches Café monatlich in Bonn an, inzwischen außerdem in Düren sowie als „Philosophischer Salon“ in Bad Godesberg. Außerdem lädt er Gäste etwa alle zwei Monate in Rheinbach und viermal im Jahr in Bad Honnef, Heinsberg, Jülich sowie Köln-Merheim zum Mitdenken ein.

      © Sinn auf Rädern/BelKom