Gibt es eine gerechte Medizin?- Zeitschrift des Katholischen Krankenhauses „St. Johann Nepomuk“ Erfurt, Sommer 2018. |
Medizinischer Salon im Nerly mit Caritas-Direktor Wolfgang Langer, Geschäftsführer Stefan A. Rösch, Chefarzt Dr. Stefan Dammers, ltd. Psychologin Carolin Blaser und 40 Gästen. Moderation: Markus Melchers, Bonn.
Was machen eigentlich Philosophen? Die sitzen in ihren Elfenbeintürmen und denken ... und nur die besonders Schlauen unter uns können ihnen folgen! Völlig anders dagegen macht es Markus Melchers, „Philosophischer Praktiker“ aus Bonn, der regelmäßig an verschiedenen Standorten in Nordrhein-Westfalen „Philosophische Cafés“ organisiert und die interessante Webseite www.sinn-auf-raedern.de betreibt – Philosophie zum Anfassen.
Chefarzt Dr. Stefan Dammers kommt ja sozusagen aus der westlichsten Ecke unserer Republik und kennt deshalb Markus Melchers mit seinen Aktivitäten. Es war also nur ein kurzer Weg für die Idee, eine ähnliche Veranstaltung auch in Erfurt auf die Beine zu stellen. Am 20. Juni war es so weit, man traf sich im „Nerly“ in der Erfurter Altstadt zum „medizinischen Salon“. „Man“ meint hier - Ladies first - unsere leitende Psychologin Carolin Blaser, Caritasdirektor Wolfgang Langer, Geschäftsführer Stefan A. Rösch, Chefarzt Dr. Stefan Dammers, Oberarzt Dr. Peter Hempel und - wie bereists erwähnt – der Philosoph Markus Melchers sowie weitere etwa 40 Diskussions-Teilnehmer. Thema war die Frage: Gibt es eine gerechte Medizin?
Dass Diskussionsleiter Markus Melchers ein Profi der philosphischen Praxis ist bemerkte man sofort daran, dass er den Abend mit drei Thesen begann, die sofort und unmittelbar einen sehr lebhaften Diskussionseinstieg bewirkten: 1. These von H. Tristram Engelhardt Jr. (1941-2018), Philosoph und Mediziner an der Rice University in Houston/Texas: Ein einheitliches, für alle verpflichtendes, umfassendes Gesundheitssystem ist moralisch nicht zu rechtfertigen. Es ist eine Zwangsmaßnahme, geprägt von totalitärem, ideologischen Eifer, welcher die Vielfalt moralischer Perspektiven, die die Interessen an der Gesunheits- versorgung prägen, nicht berücksichtigt. Es ist ein Akt säkularer Unsittlichkeit. 2. These von Hans-Ulrich Deppe, Medizinsoziologe und Sozialmediziner aus Frankfurt/M.: Wirtschaftlicher Wettbewerb im Gesundheitssystem ist keine abstrakte Konkurrenz, sondern stets ein konkreter Wettbewerb um den rentablen Patienten. 3. These von Hippokrates von Kos, um 460 vor Christus, griechischer Arzt und „Vater“ der mod. Medizin: Die Medizin ist die vornehmste aller Wissenschaften.
Aufbauend auf diesen drei „Startsätzen“ wogte die Diskussion in der Runde hin und her, streifte mal das eine, mal das andrere Thema, Argumente wurden ausgetauscht wie „Privatpatienten haben es besser“ vs. „Privatpatienten bekommen längst nicht die Leistungen, die Kassenpatienten erhalten“ oder „Jeder Arzt sieht nur noch sein eigenes kleines Fachgebiet, wer als Arzt das Große und Ganze sieht, zahlt drauf“ bis hin zur Verlesung eines langen, vorbereiteten Schriftstückes darüber, dass Ärzte und Gesundheitsfunktionäre nur in die eigene Tasche wirtschaften würden.
Interessant in dieser Gemengelage war der Beitrag eines Arztes der mitten in die Empörung über das Zitat von Tristram Engelhardt (These 1) hineinrief: „Aber wäre es nicht wirklich besser, wir hätten ein Solidarsystem, das auf Freiwilligkeit beruht und nicht auf Zwang?“ – eine durchaus nachdenkenswerte Idee.
Im letzten Viertel der Veranstaltung nahm Markus Melchers verstärkt Kurs auf den Gerechtigkeitsbegriff. Einig war sich das Forum darin, dass das Thema „Gerechtigkeit“ nur dann relevant ist, wenn es einen Mangel gibt. Wenn von allem genug da ist, braucht man sich um Gerechtigkeit nicht zu sorgen. Doch schon bei Aristoteles finden wir Ideen, wie mit Gerechtigkeit umzugehen ist. Wenn ein Teil einer polis, einer Gemeinschaft, durch Missernten, Schädlingsbefall, schlechtes Wetter einen Mangel erleidet, ein anderer Teil der selben Polis dagegen keinen Mangel dann ist es nur selbstverständlich, dass Letztere ihren notleidenden Mitbürgern helfend unter die Arme greift.
Melchers bringt ein weiteres Zitat, dieses Mal von John Rawls (1921-2002), amerikanischer Philosophie-Professor an der Harward Universität, Hauptwerk: A Theory of Justice (1971): Rawls denkt: Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offenstehen; und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen. Markus Melchers bezieht sich auf den zweiten Teil des Rawls-Zitats und folgert im Umkehrschluss: Eine Gesellschaft ist dann gerecht, wenn die Veränderung der Situation der am schlechtest gestellten Gruppe noch größere Nachteile für diese Gruppe zum Ergebnis hat.
Den Abschluss der Diskussion bildet jedoch ein Zitat von Dietrich von Engelhardt, emiritierter Medizinhistoriker an der Universität Lübeck, der durchaus ein Fingerzeig für die Beantwortung der Frage der Abends nach der gerechten Medizin sein kann: „Der Umgang mit Krankheiten ist ein wesentliches Indiz für das Niveau des einzelnen Menschen, der Gesellschaft, der Kultur.“ Eine höchst spannende Veranstaltung, die gerne neu aufgelegt werden kann ... ths
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