Markus Melchers ist Philosoph. Er hat aber keinen Lehrstuhl an der Universität und schreibt auch keine Bücher über Hegel oder Heidegger. Melchers hat ein Unternehmen gegründet. Es heißt «Sinn auf Rädern» und bietet Lebensberatung - mit den Mitteln der Philosophie. Seit Anfang 1998 hält der 38-Jährige seine Sprechstunden ab. Neu daran ist das ambulante Konzept: Melchers liefert seine Dienste frei Haus - nicht mit dem Auto, sondern stilecht mit dem Fahrrad. «Philosophische Praxen gibt es aber schon seit Beginn der achtziger Jahre», sagt Wolfram Hogrebe, Professor an der Universität Bonn und Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland (AGPD). Gerade in den vergangenen Jahren sind viele neue Anbieter hinzu gekommen. Rund 50 philosophische Praxen dürften mittlerweile in Deutschland zusammenkommen. Ihre Kunden finden sich im rasanten Wandel der Werte und Moden nicht mehr zurecht, haben aber auch ihr Vertrauen in die bestehenden Orientierungsangebote verloren. Sie fühlen sich in der Kirche oder beim Psychologen nicht gut beraten, und auch die Esoterik kommt für sie als Alternative nicht in Frage. «Alle Men-schen, die zu mir kommen, teilen einen Wunsch nach Eindeutigkeit und Verbindlichkeit. Sie haben den Eindruck, sich auf nichts mehr verlassen zu können», erzählt Markus Melchers. Sie treiben Fragen nach dem Sinn des Lebens um und nach dem Tod. Andere stecken in einer Ehe- oder Beziehungskrise. Mit dem Philosophen wollen sie diese Probleme diskutieren. Ein Mann wollte von Melchers etwa wissen, wie er seinen Kindern Werte von Dauer vermitteln könne, während die eigenen Maßstäbe sich ständig wandelten. Andere denken über die Frage nach, ob ein glückliches Leben überhaupt möglich ist. «Ich kann aber keine konkreten Tipps geben», sagt Melchers. Statt dessen wollen die Lebensberater Perspektiven aufzeigen, die verschiedene Philosophen vertreten und aufgeschrieben haben. Melchers Kollege Bernd Groth hat eine philosophische Praxis in München und erntet gute Reaktionen auf seine Beratung, wie er sagt. «Viele betonen nachher, sei seien glücklicher, weil sie ihr Problem klarer sehen.» Obwohl er lange an der Universität gearbeitet hat, versteht Groth die Philosophie nicht als akademische Disziplin. «Philosophie ist eine Lebenspraxis. Schon Seneca sagte, sie sei eine Form der Lebensberatung», so Groth. «Philosophieren heißt, eine bestimmte Haltung zur Welt einzunehmen und nicht, an der Uni die Nase in Bücher zu stecken», bestätigt Markus Melchers. Er will dem Vorurteil entgegen treten, die Philosophie habe nichts mit dem richtigen Leben zu tun. «Schon in der Antike und in den mittelalterlichen Trostbüchern haben Philosophen Lebensweisheiten für den Alltag aufgeschrieben.» Mit ihrer Arbeit wollen die Berater die Disziplin aus dem Elfenbeinturm heraus holen. Markus Melchers schwingt sich dafür auf sein Fahrrad. Um Berührungsängste zu vermeiden, bietet er Hausbesuche an. Am Telefon vereinbart er mit seinen Gastgebern einen Treffpunkt: am Rhein, im Café oder beim Kunden zu Hause - Hauptsache, es ist ein «angenehmer Ort», so Melchers. Schließlich wollen seine Kunden nachdenken über Fragen, die sie schon lange beschäftigen. Ihm ist es wichtig, keine Arzt-Patienten-Situation aufkommen zu lassen. «Wir führen ein gleichberechtigtes Gespräch. Es wird nicht von oben nach unten diskutiert.» Als Begründer der philosophischen Beratung in Deutschland gilt Gerd Achenbach, der 1981 seine Praxis in Bergisch Gladbach eröffnete. Seither sind dort auch mehrere Nachwuchsberater in die Lehre gegangen. Achenbach hat mittlerweile so viele Anfragen, dass er viele Kunden an Kollegen verweisen muss. «Ich habe Gäste, die wöchentlich kommen. Andere reisen alle paar Monate für ein ganzes Wochenende an. Darunter sind auch Leute, die schon seit über 15 Jahren zu mir kommen.» Das Honorar vereinbart er frei. «Ich habe keinen Standardsatz, versuche vielmehr, die finanziellen Möglichkeiten meiner Gäste einzubeziehen.» In der Regel liegt der Preis für 50 Minuten Einzelberatung bei etwa 150 Mark. Auch Gruppengespräche gehören in Achenbachs Praxis zum Angebot. Oft kommen Ärzte, um mit ihm moralische Fragen zu erörtern. Ebenso gehört eine Gruppe von Bewährungs-helfern zu seinen Kunden. Bernd Groth berät seine Kunden auch per E-Mail. «In der Philosophie geht es ja darum, selbst nachzudenken. Deshalb muss man dem Gesprächspartner immer wieder viel Zeit lassen, sich mit einer neuen Idee anzufreunden.» Thorsten Wiese |