Ein bedrückender Blick in die Abgründe der Nazi-Verbrechen, blick-aktuell (Bad Breisig) vom 28.03.2017 |
Der Philosoph Markus Melchers referierte über die Werke von Hannah Arendt Bad Breisig. Der sich selbst als „Philosophischer Praktiker“ vorstellende Geisteswissenschaftler Markus Melchers ist in der Quellenstadt kein Unbekannter. Er hat bei verschiedenen philosophischen Veranstaltungen die jeweiligen Zuhörer schon zum Nachdenken, nein: zum Mitdenken gebracht. So auch diesmal, als er sich für das quellenstädtische „forum kultur“ mit der 1906 in Hannover geborenen, 1933 nach Frankreich, 1940 nach Amerika emigrierten Politikwissenschaftlerin und Philosophin Hannah Arendt beschäftigte. Ein Kreis von etwa 30 hoch interessierten Zuhörern hatte sich im Hotel „Rhein-Residenz“ eingefunden; sie wurden dort im Namen des „forums“ von Birgit Letschert begrüßt.
Hannah Arendt hat sich nach dem letzten Krieg mit Veröffentlichungen ihrer Gedanken zur „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ (wie im Dritten Reich) einen Namen gemacht, besonders aber mit analytischen Gedanken zum Prozess und zur Verurteilung des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann in Jerusalem (1969). Der nicht immer einfache Weg zur Denkweise der Hannah Arendt führt für Markus Melchers nur über den Umweg rund um die philosophischen Vordenker, wie in den Mitte des 17. Jahrhunderts wirkenden Gottfried Wilhelm Leibniz und den ein Jahrhundert später sich mit Gott und der Welt auseinandersetzenden Immanuel Kant. Beide beschäftigten sich mit der metaphysischen Suche nach der Ursache des „Bösen“ in der Welt.
„Gott verursacht nicht das Böse, aber er läßt es zu“, staunt Leibniz. Immerhin ist „diese Welt die beste aller denkbaren Welten, sonst hätte Gott sie nicht geschaffen.“ Dass wir die „Gedanken Gottes nicht denken können, weil wir ja nicht Gott, sondern Menschen sind!“ sagt Leibniz. Der von Immanuel Kant formulierte „Kategorische Imperativ“ fordert von Menschen kompromisslos: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte!“ Im Klartext: „Wichtig ist, was man will, weniger das, was daraus resultiert!“ Der Dozent macht es an einem Beispiel fest: Nachts eine rote Ampel, die ich natürlich achte. Bleibe ich davor stehen, weil es sich „so gehört“, oder achte ich das Signal, weil ich eine evtl. Bestrafung fürchte? Kant ist gnadenlos: „Wer einmal Böses gedacht hat, hat sich aus dem Bereich der moralischen Freiheit ausgeschlossen.“ Seine Maxime: „Allein der gute Wille ist gut!“ Man muss schon philosophisch folgern können, um solch edlen Gedanken folgen zu können. Das mag auch Hannah Arendt Probleme gemacht haben, denn sie nähert sich dem Begriff des „Bösen“ auf eigene Art. Sie ist die erste der genannten Philosophen, die die schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zur Echtzeit beobachten und somit analysieren konnte. Sie versucht, die Beweggründe zum „Bösen“ zu ergründen.
Sie findet dabei Gründe wie „Antisemitismus, Imperialismus, totalitäre Herrschaft.“ Für sie ist der Mensch das „freiheitsbezogene Wesen“, für ihn ist „Politik sinnlos, wenn ihr Ziel nicht die Freiheit des Menschen“ ist. Nach ihr muss jedes Handeln auf freiheitlichem Denken beruhen und muss moralisch bewertbar sein. Das Gefühl „Das tut man nicht“, muss stärker bewertet werden. „Menschen, denen jede Perspektive fehlt, müssen alles glauben - und sie sind zu allem bereit.“ - Womit wir beim Eichmann-Prozess wären, den Arendt die „Banalität des Bösen“ nennt und bewertet, wie der Angeklagte sein Tun mit ‚Befehlsnotstand‘ begründet. Man glaubt, bei Arendt einen Rest für Verständnis zu dieser Argumentation zu entdecken, eine Art „Mitleid“. Allerdings folgt Markus Melchers nicht in jedem Detail der Beurteilung der Deutsch-Amerikanerin, die ihm ein gewisses Grad an Notsituation bei der ihm übertragenen technischen Abwicklung seines Deportations-Auftrags für die Juden und Entwurzelten zugute hält.
Melchers hält es mehr mit der Kompromisslosigkeit eines Immanuel Kant (aber der hat ein solches Maß an Unmenschlichkeit ja nicht erlebt!). „Die Stimme des Gewissens verstummt bei derartigen Ausmaßen von Verbrechen. Eichmann hatte ja auch weit und breit niemand um sich, der gegen die ‚Endlösung‘ war. Er glaubte einfach, dass er richtig handelte, als er den Befehlen folgte. Das Schlimmste bei Adolf Eichmann war, dass er alles, was er tat, als ‚normal‘ ansah. Und was er zu seiner Entlastung sagte, waren Notlügen. Es gibt keine Entschuldigung für das, was er tat. Er tat es aus Überzeugung.“
Aufgeregte Gesprächsrunde
In der Folge entbrannte im Hotel „Rhein-Residenz“ eine aufgeregte Gespächsrunde. Viel persönliches Erleben, viele Empfindungen, viele Urteile wurden geäußert. Es machte auch einen Unterschied, ob die Beiträge von Leuten kamen, die die Nazi-Zeit noch miterlebt haben, oder von „Spätgeborenen“, die alles nur vom Hören-Sagen kennen.
Der „Philosophische Praktiker“ musste manche ergänzende Auskunft auf Fragen geben, die sich mit den veröffentlichen Meinungen der Hannah Arendt befassten, aber auch grundsätzlich mit den Hintergünden der Nazi-Verbrechen. Es wurde ein rund zweistündiger Ausflug in die Abgründe menschlichen Tuns - ein höchst lehrreiches Treffen mit Markus Melchers, der ein Wiederkommen versprach. Ermutigend die Worte eines zeitgenössichen Vordenkers: „Wenn so große Verbrechen wirklich von so kleinen Ursachen ausgehen, dann haben wir ja die Chance, alles zum Besseren zu wenden!“
FA
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