Der Bonner Philosoph Markus Melchers bietet mit "Sinn auf Rädern" ambulante Lebenshilfe Bonn. Markus Melchers ist eine Hebamme. Wenn das Telefon bei ihm klingelt, gurtet er seine schwarze Ledertasche um, schraubt sich die Baskenmütze auf den Kopf und schwingt sich auf sein 21-Gang-Rad. Jede Geburt, die er dann erlebt, ist anders. Manche Eltern wüten, manche weinen, manche lachen. Ohne Melchers kommen ihre Kinder jedoch nie zur Welt, denn körperlich gibt es sie gar nicht. Es sind Kopfgeburten, innere Konflikte zum Selbst und Sein. Melchers ist Philosoph und wie der von Sokrates geforderte Geburtshelfer versucht der 38-Jährige im Dialog mit dem Sinnsuchenden Gedanken zur Welt zu bringen. Seit drei Jahren macht der Bonner philosophische Hausbesuche. Weil er das zumeist mit dem Velo tut, nennt er seinen Dienst "Sinn auf Rädern". Die Zahl der Gastgeber - so bezeichnet er seine Klienten - nimmt dabei stetig zu. Einen Trend zum Philosophieren, ja, den könne er beobachten, sagt er. VHS-Kurse über Kant, Hegel und Platon verzeichnen zurzeit regen Zulauf und im Fernsehen diskutierten jüngst Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski im "Philosophischen Quartett" über Heideggers Angstbegriff. Der Bonner Bedenkenträger hält von der TV-Sinnsuche nicht viel: "Viel zu oberlehrerhaft, viel zu weit weg vom Leben." Philosophie sei für ihn nicht Gelehrtendiskurs, sondern praktische Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt. Diese wollen seine Gastgeber aus ganz Deutschland zusammen mit ihm ordnen. Seine erste Klientin fand in Melchers den ersten richtigen Ansprechpartner für die sie seit langem quälende Frage, ob zwei Staaten einander moralisch genauso verpflichtet sind wie zwei Menschen. Eine SAP-Angestellte aus Heidelberg zermarterte sich das Hirn, warum Menschen nach Leistung und nicht nach ihrer Persönlichkeit bewertet werden. Eine Frau aus Bremerhaven ertrug die Passivität ihres Mannes nicht mehr und fragte Melchers: "Soll ich mich von ihm trennen?" Wer sich eindeutige Antworten erhofft, wählt die Bonner Nummer besser nicht. "Für solche Menschen bin ich eine Enttäuschung", erklärt der Sinnstifter. Mit Hilfe der Philosophen zeige er immer mehrere Lösungen auf. "Fühlen Sie sich um Gottes Willen nicht in mich hinein", bekomme er dabei oft zu hören. Seine Klienten wollen den rationalen Diskurs, erklärt Melchers, keine Therapie. Er setze auf Dialog statt Diagnose. Bei den Banken hat er damit auf das falsche Pferd gesetzt: Die wollten ihm kein Darlehen zur Existenzgründung geben. Geld verdienen könne er besser mit "Trommelkursen" hatte ihm ein Bankier geraten. Weil er von den 50 Euro Stundenlohn seiner Besuche nicht leben kann, besucht Melchers die Betuchten. Eine Kölner Privatbank forderte ihn zum Kamingespräch zum Thema "Geld und Gewissen" an, auf Schloss Honhardt im Schwäbischen verkostet er mit erlesener Klientel Assoziationen zu Themen wie Glück oder Liebe. Inspiriert von Platons sinnstiftenden Trinkgelagen im "Symposion" richtet er bald selbst "Philosophische Diners" aus , zum "Philosophischen Café" lädt er bereits seit Jahren in die Bonner "Pauke". Melchers sieht seine Hausbesuche als gedankliche Abkürzung. "Wer Amerika nicht ein zweites Mal entdecken will, ruft mich an", erklärt er seine Geschäftsidee. Dafür liest er jeden Tag bis tief in die Nacht. 5000 Bücher stapeln sich in Melchers Wohnung. Die Gebildeten versuchen ihn zu testen, fragen sogar Textpassagen ab. Die Unbelasteten freuen sich darüber, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Einem Mann etwa, der seine Umgebung mit der Frage nervte, wie er "von seinem kleinen Hirn auf die große Welt schließen könnte", erklärte der ambulant Sinnierende, dass dies eine Grundfrage der Erkenntnistheorie sei. Der Mann fühlte sich danach befreit. In manchen Stunden suchen Menschen verstärkt nach Sinn. Die Millenniumsnacht verbrachte Melchers mit Herbert Feuerstein im WDR-Studio. Um vier Uhr früh im jungen Jahr sprach er dort über Endzeit und Angst. Am 11. September 2001 rief ihn ein Mann nach den Anschlägen auf das World Trade Center an und fragte, ob das, was er dort im Fernsehen sehe, das Böse sei. Die Euro-Einführung allerdings löste keine Sinnkrise aus. Die Gastgeber von Melchers sind Menschen ab 40. Sie sind Briefträger, Ärzte oder Rentner. 80 Prozent von ihnen sind Frauen. Diese reden am liebsten über Liebe, Männer hingegen über Leistung. Der Philosoph spricht dabei nicht mit jedem. Esoteriker etwa weist er ab. Ein Mann, der klagte, dass sein Drachenauge erblindet sei, versagte er Hilfe, da dieser sich von ihm Bestätigung der chakralen Theorie erbat. Solchen Anrufern sagt Melchers sofort: "Einsichtsfähig muss der Mensch zum Philosophieren schon sein." Claudia Fromme |