Angebot für alle Fälle: der Philosoph auf Rädern chrisma: Herr Melchers, Ihr ambulanter philosophischer Service bietet "Sinn auf Rädern". Sie liefern also den Sinn des Lebens direkt ins Haus? Markus Melchers: Als philosophischer Praktiker bin ich so direkt noch nie nach dem Sinn des Lebens gefragt worden. Auch nicht nach "Glück". Dreimal aber schon nach "Liebe". chrisma: Was möchten Ihre Klienten denn dazu wissen? MM: Ein Mann fragte nach einem rationalen Kriterium, warum er mit seiner Partnerin zusammenbleiben soll - oder warum nicht. chrisma: Das klingt nach psychologischer Beratung. MM: Ich bemühe mich, die Grenze zur Psychologie so scharf wie möglich zu ziehen. Bei diesem Beispiel habe ich philosophiegeschichtlich aufgezeigt, was unter Liebe verstanden werden kann. Dann haben wir das Für und Wider dieser Positionen diskutiert. chrisma: Was werden Sie denn noch so gefragt? MM: Einer wollte wissen, wie er von seinem "kleinen Hirn" auf die große Welt schließen kann. Mit dieser Frage hatte er schon ziemlich oft seine Verwandtschaft genervt. chrisma: Und was haben Sie ihm empfohlen? MM: Wir hatten drei, vier Treffen. Er erfuhr, dass sein Anliegen in der Tat eine erkenntnistheoretische Fragestellung beinhaltet, die von den "großen Philosophen" bearbeitet wurde. Für ihn war es ein Trost zu erfahren, dass er mit seiner Frage nicht alleine war. chrisma: Wie kriegen Sie denn Ihre Kunden? MM: Vor zwei Jahren habe ich Anzeigen geschaltet. Inzwischen kommen die meisten entweder durch Empfehlungen, treffen mich in unserem Philosophischen Café oder weil sie über mich gelesen haben. Aber ich nenne sie nicht Kunden, sondern Gastgeber. chrisma: Wie viel kostet denn Ihre Beratung? MM: Im Schnitt 80 Mark die Stunde. chrisma: Gibt es denn mehr Bedarf an Orientierung als früher? MM: Ich denke schon. Viele meiner Gesprächspartner sind jenseits der 50 und empfinden die Welt als immer unübersichtlicher. Sie fragen: "So viel Werte gelten nicht mehr. Was kann ich da tun?" chrisma: Haben junge Menschen keine philosophischen Fragen? MM: Doch. Aber ich weiß nicht, ob sie die Zeit haben, solche Fragen näher an sich heranzulassen. chrisma: Was ist denn die Basis Ihres Sinn-auf-Rädern-Sevice? MM: Ich folge dem Denken der Aufklärung: Erwachsene Menschen üben sich im "öffentlichen Gebrauch der Vernunft". Und da kann ich in bestimmten Situationen Orientierungen aufzeigen, wie es kaum eine andere Disziplin kann. chrisma: Früher ging man mit existentiellen Fragen zum Pfarrer. MM: Ein Pfarrer hat schon eine bestimmte Art von Vorentscheidung getroffen. Oder bewegt sich zumindest in einem Rahmen, in dem schon viele Vorentscheidungen getroffen sind. Da gibt's zum Beispiel einen sich offenbarenden Gott oder die Zehn Gebote. Und das ist im Grunde das Fundament, das er nicht verlassen darf und auch nicht verlassen soll. Deshalb ist er ja Pfarrer. chrisma: Und Sie? MM: Ich habe ein solcherart gesichertes Fundament nicht. Im Rahmen philosophischer Praxis gibt es keinen Gott, der unbedingt Recht haben muss. Das ist ein Vorteil, wenn es um die Anstrengung des Begriffs geht. Vielleicht ist es ein Nachteil, wenn es um die letzte Sicherheit geht. Wenn Sie ein "Gottesproblem" haben, dann können Sie mit mir über den "Gott der Philosophen" diskutieren. Die Fragen stellte Ulla Hanselmann
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