DEBATTE: Philosophie im Alltag; Frankfurter Neue Presse vom 27.04.2004 |
Von Andreas Michel Sie schießen zur Zeit wie Pilze aus dem Boden: die philosophischen Cafés! Menschen finden sich zusammen, einigen sich auf ein Thema und sprechen dann oft länger als zwei Stunden darüber. All das wird lediglich von einem Moderator (keinem Referenten!) geleitet, der nicht einmal ein Philosoph zu sein braucht, oft aber einer ist. In fast jeder größeren Stadt im deutschen Sprachraum gibt es inzwischen solche meist monatlichen Treffen philosophisch interessierter Menschen und in Frankreich, wo die Idee herkommt, sind es noch viel mehr. Daneben nimmt aber auch die philosophische Erwachsenenbildung zu und die persönlichen Beratungsangebote philosophischer Praktiker werden ebenfalls von mehr und mehr Menschen in Anspruch genommen. Das Stichwort von der außeruniversitären Philosophie macht die Runde und fast könnte man schon von einer kleinen Bewegung sprechen. Aber Philosophie außerhalb der geheiligten Mauern einer Universität. Geht das denn überhaupt?
Und wie!
Wem diese Idee zu vermessen erscheint, dem sei zunächst ein Blick in die Geschichte der Philosophie empfohlen. Das erste, was einem dabei auffällt, ist, dass die Philosophie viel älter ist als die Universitäten, die ja erst im Mittelalter entstanden. Zwar haben sich auch in der Antike die Philosophen bereits zu Schulen oder Akademien zusammen geschlossen, aber gerade die ganz großen Vertreter dieser Zunft haben solche Zusammenschlüsse gemieden oder gleich selbst welche gegründet. Eine gewisse Geselligkeit kann den Philosophen bis heute nicht abgesprochen werden, aber es muss eben nicht unbedingt die Universität sein. Denn als es diese dann gab, finden wir immer noch sehr viele, sehr bedeutende Denker, die damit beruflich kaum etwas zu tun hatten. Dazu gehören immerhin Montaigne, Descartes, Leibniz, Spinoza, Hume, Rousseau, Feuerbach, Marx, Camus und nicht zuletzt Jostein Gaarder, der Autor von „Sophies Welt“, der selbst viel zu diesem außeruniversitären Philosophieboom beigetragen hat. Und über die genannten hinaus, gibt es noch viele, die durch irgendwelche speziellen Lebensumstände ihre entscheidende Wirkung außerhalb der Universität erzielt haben. Schopenhauer z.B. konnte sich in Berlin nicht gegen Hegel durchsetzen und privatisierte lieber. Seinem Werk dürfte das nicht geschadet haben. Nietzsche hat nicht einmal Philosophie studiert und seine großen Werke erst nach seiner Karriere als Altphilologe an der Universität Basel verfasst. Albert Schweitzer lehrte an der Uni nur Theologie und wurde zu seiner „Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben“ durch seine Arbeit in Lambarene angeregt. Entstanden ist „Kultur und Ethik“ sogar auf dem Ogowe unter schwierigsten Umständen, fernab von jeder Bibliothek. Dies merkt man dem Werk zwar an, aber geschadet hat auch das nicht. Vielmehr macht es sogar seine Authentizität aus. Bertrand Russell hatte immer mal wieder Lehraufträge an den verschiedensten Universitäten, aber sein Werk verdanken wir eher seiner Entscheidung als freier Schriftsteller leben zu wollen und sein ererbtes Vermögen zu verschenken. Eine sichere Stelle an der Uni hätte ihn wahrscheinlich genauso gehemmt, wie er das von seinem Vermögen befürchtete. Auch Sartre entschloss sich ganz bewusst, als freier Schriftsteller zu leben und Umberto Eco verdankt seine weltweite Berühmtheit ebenfalls seinen philosophischen Romanen und nicht seinem Lehrstuhl für Semiotik.
Mit anderen Worten: Die außeruniversitäre Philosophie kann bereits auf eine lange und wirklich große Tradition zurückblicken. Und diese wird nun in neuen Formen fortgesetzt. Als Protagonisten dieses Prozesses ist zunächst Gerd Achenbach zu nennen, der 1981 die erste Philosophische Praxis in Deutschland gründete. Hierbei geht es um die persönliche Beratung meist in Einzelgesprächen auf philosophischer Basis, was auf keinen Fall mit einer Therapie verwechselt werden darf. Der schon erwähnte Jostein Gaarder muss hier noch einmal erwähnt werden („Sophies Welt“ erschien 1993 in deutscher Übersetzung) und 1997 erschien in deutscher Sprache das Buch „Ein Café für Sokrates“ von dem leider viel zu früh verstorbenen Marc Sautet. Damit setzte sich diese Idee auch im deutschen Sprachraum durch. Einer ihrer profiliertesten Vertreter ist gegenwärtig Markus Melchers, der das Philosophische Café in Bonn gründete und bis heute leitet. Daneben bietet er aber auch unter dem originellen Titel „Sinn auf Rädern“ Einzelberatungen an, für die er seine Gastgeber besucht.
Dr. Andreas Michel ist Philosoph und Zauberkünstler, Mitbegründer des Café Philosophique in Koblenz und verbindet in seinem aktuellen Soloprogramm „PHILOZAUBER: GedankenSpiele-Illusionen“ philosophische Gedanken mit Zauberkunststücken.
|