Eine List der Vernunft. Denkanstöße im angereicherten Linienverkehr; WAZ vom 04.10.2005 |
OBERHAUSEN. Auftakt der "Kultur-Tour": Ein Stoag-Bus wird zum Salon mit Klavier und Pianist und einem Parforce-Ritt durch die Geschichte der Philosophie. Markus Melchers philosophierte auf der Kultur-Tour im Omnibus. Ein Linienbus ist kein Ort der Kommunikation. Wer morgens mit dem Bus zur Arbeit fährt, weiß das. Der Linienbus ist auch kein Ort mit Esprit, hier klirren keine Sektgläser. Hier ist nur schnöder Alltag. Das alles war anders bei der Auftaktveranstaltung des Kulturtransports von Michael Dilly, Billie Erlenkamp und Christoph Kaiser. Die "Kulturspediteure" verwandelten den Bus in einen philosophischen Salon mit Klavier und Pianist, mit Sekt und angeregten Gesprächen. Es ist eine besondere Erfahrung, wenn man mit "As times goes by" im Ohr draußen Pizzabuden und Gewerbegebiete vorbeirauschen sieht. Der ungewohnte Öpnv-Soundtrack, grandios gespielt von Pianist Winnie Slütters, ermöglicht neue Perspektiven. An eingespielten Denkmustern rüttelte Philosoph Markus Melchers. Ganz im Sinne der sokratischen Maieutik, der Kunst, durch geschicktes Fragen den Menschen die richtige Erkenntnis abzuverlangen, half er den Kopfgeburten auf die Sprünge, zeigte Widersprüche auf, ging alltagspsychologischen Redeweisen auf den Grund, erklärte in Parforce-Ritten durch die Philosophiegeschichte, was andere Denker zu diesen Fragen gedacht haben - von Platon bis Gadamer in nur zweieinhalb Minuten. Melchers kommentierte selbst offenkundigen Unsinn mit Humor. Etwa bei der Frage nach der Wahrheitsfähigkeit von Erinnerungen: Skeptikern und erkenntnistheoretischen Relativisten, für die alles subjektiv-beliebig ist, entgegnete er mit entwaffnendem Pragmatismus: "Sie würden doch zu niemandem sagen, dass sie nur unter großem Vorbehalt behaupten würden, gestern bei Aldi gewesen zu sein." Der Höhepunkt der philosophischen Rundreise war der Halt des Think Tanks auf Rädern am hiesigen Konsumtempel. Als vergnügungssüchtige Promenadengänger mit misstrauischem Blick ins Businnere schauten, wurde der tiefere Sinn der ganzen Veranstaltung deutlich - eine List der Vernunft. Zur Person: Markus Melchers. Ein philosophischer Praktiker, den Menschen anrufen, wenn Sinn- und Lebensfragen sie umtreiben. Von seinen rund 50 deutschen Kollegen unterscheidet er sich durch sein ambulantes Konzept: Ökologisch korrekt kommt er per Velo, Bus und Bahn. "Sinn auf Rädern" nennt er das. Mit Zitaten von Kant, Hegel eröffnete er die Diskussion über die Funktion von Erinnern und Vergesse. till
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