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Warum ist Schenken so schwer? Forum - Das Wochenmagazin vom 11.12.2010, Saarbrücken

Warum ist Schenken so schwer?
So einfach ist es leider nicht, wenn zu Weihnachten mal wieder zig Millionen Präsente überreicht werden. Geschenke können leider auch daneben gehen. Warum eigentlich? Und wie lässt sich das vermeiden?
Am einfachsten ist es für kleine Kinder. Sie krakeln etwas aufs Blatt oder pappen ein paar Fetzen Stoff und ein Klopapier-Röllchen zusammen und überreichen das Kunstwerk mit heißem Herzen und den Worten: „Das schenke ich dir.“ Dann drehen sie sich um, gehen ihrer Wege und haben ihre Gabe nach wenigen Minuten wieder vergessen.

Für die meisten Erwachsenen ist das Schenken komplizierter. Denn Präsente können weit mehr, als Freude stiften. Sie können beschämen und überfordern, beleidigen und verletzen. Manche von ihnen sind bei genauem Hinschauen nicht einmal gut gemeint.

„Schenken ist soziales Handeln par excellence“, sagt der Kultur- und Religionssoziologe Professor Gerhard Schmied, der vor seinem Ruhestand an der Universität Mainz tätig war. „Man schenkt, wenn man ein Interesse daran hat, Beziehungen zu bestätigen oder aufrechtzuerhalten“, fügt der 70-Jährige hinzu. Geschenke sind eine Art von Kommunikation – und die kann scheitern. Gaben übermitteln Botschaften von Nähe und Distanz, von Wissen und Ahnungslosigkeit. Sie verraten einiges über den, der beschenkt wird, aber viel über den Schenkenden. Das muss kein Vorteil sein.

Manche Menschen können auf ein Talent zum Schenken zurückgreifen, das anderen ein Leben lang versagt bleibt. „Du hast ein gutes Händchen“, heißt es dann. Traumwandlerisch sicher greifen die Begabten zu Mitbringseln, die ins Schwarze treffen. Andere landen immer wieder im Fettnäpfchen, wenn sie Gutgemeintes überreichen. Für sie ist es in einer Gesellschaft des Überflusses und der abertausend Möglichkeiten nicht leichter geworden.

Das Schenken als Tradition stamme aus einer Zeit, „in der man noch nicht alles kaufen konnte“, sagt der Bonner Philosoph  Markus Melchers, der seit elf Jahren als „ambulanter Sinn-Kurier“ seine Kunden auch in praktischen Moral- und Wertfragen berät. Heute aber könne sich der Beschenkte „in der Regel alles selber kaufen“. Das macht es keineswegs einfacher. Denn als Schenkender kann man sich nicht mehr annähernd sicher sein, dass die gute Gabe auch gebraucht wird. Ganz abgesehen davon, dass wählerischer Kindermund heute die Wahrheit ganz unverblümt kundtut und Enttäuschung oder Entsetzen über ein Geschenk nicht immer mildtätig verborgen bleibt. Nicht alle halten das für einen Fortschritt.
Kinder mögen enttäuscht sein, wenn ein Wunsch versagt oder eine Sehnsucht unerkannt bleibt. Erwachsene kann so etwas auf immer beleidigen, und die Etikette erschwert es ihnen obendrein, ihre Gefühle auszudrücken.

Melchers zufolge gibt es auch „vergiftete Geschenke“ – etwa dann, „wenn man einem bedürftigen Freund 50 Euro schenkt“. Oder gar den eigenen Eltern. Geldgeschenke erfreuen eher, wenn sie an einen hübschen Zweck gebunden sind – zum Beispiel an eine immer wieder erwähnte Wunsch-Reise.

Die bekannte Redensart „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“ enthält zwei wichtige Botschaften. Einmal jene, dass es für gelungene Zwischenmenschlichkeit überhaupt wichtig ist, etwas zu schenken, zumindest dann und wann. Das stiftet Gemeinschaft, drückt Achtung aus und Nähe – auch wenn nicht verschwiegen werden soll, dass manch Schenkender beim Geben darauf hoffen mag, später selber etwas zu bekommen. Mildernder Umstand: Es geht hier meist weniger um Habgier, als um eine Furcht – nämlich nicht respektiert zu werden, am Rande zu bleiben. Oder den Wunsch, später selber Wertschätzung zu erfahren.

Die zweite, vielleicht wichtigere, Botschaft aber zielt auf die Größe des Geschenks. „Ein Geschenk muss materiell angemessen sein, sonst geht es schnell in Richtung Almosen“, urteilt der Soziologe Gerhard Schmied. Große Gaben können überfordern und beschämen. Nur Menschen mit guten Nehmer-Qualitäten – und das heißt: mit großem Selbstbewusstsein – können mit üppigen Geschenken umgehen.
Meist aber wird nur ein Hummelschwarm von Fragen aufgestöbert. Die wichtigste: „Wie soll ich das je wiedergutmachen?“ Das ist keine absurde, sondern eine zutiefst menschliche Reaktion. Denn „eine Gabe erfordert immer eine Gegengabe“, sagt Andreas Kuntz, Professor für Volkskunde an der Universität Freiburg.

Menschen fühlen sich leicht in der Schuld des Schenkenden und haben vielleicht weder die finanziellen noch die charakterlichen Möglichkeiten, adäquat zurückzugeben. Für den Philosophie-Praktiker Markus Melchers liegt hier ein „Risiko des Schenkens“, das im ungünstigen Fall dazu führen kann, „dass der Beschenkte sich nicht mehr meldet“.

Ein Dilemma zwischen Moral und Usus gibt es auch anderswo. Viele erleben das fast wöchentlich in ihrer Firma, ihrem Amt. Jemand geht durch die Büros und sammelt Geld, weil eine Kollegin bald Geburtstag hat. Wie viel ist man bereit zu geben – noch dazu unter den nicht immer gleichgültigen Blicken des Ein-sammlers? Wie endet dieser Spagat zwischen Konvention und Wille? Sind drei Euro genug, oder zehn? Gibt es eine gnädige Obergrenze von „höchstens fünf Euro“? Werden aber mindestens diese erwartet? Und darf man sich hier verweigern? „Klar“, sagt Markus Melchers, „denn keiner darf mir meinen Willen vorschreiben“. Doch dann müsse man auch zu den möglichen Konsequenzen seines Handelns stehen – unter Umständen also zur Ächtung durch die Kollegen. Zudem könnte es sein, dass die ganze Sammelaktion scheitert, weil kaum jemand sich beteiligt.

Eine ebenso schweißtreibende ist die Frage, ob man Geschenke eigenmächtig umwandeln oder gar weiterschenken darf. Muss jemand den Theater-Gutschein einlösen, selbst wenn er vorgeführte Tragödien öde findet? Darf er sich das Geld dafür auszahlen lassen? Aus moralischer Sicht spreche nichts dagegen, meint Melchers. „Was man damit macht, ist nicht länger Sache des Schenkenden.“ Denn ein Geschenk gehe nicht nur in den Besitz, sondern auch ins Eigentum des damit Bedachten über. Folglich könnte man eine Gabe auch weiterschenken – nicht nur dann, wenn sie missfällt und sowieso im Kellerregal landen würde.

Leichter fällt ein Bruch mit den Gepflogenheiten, wenn das Geschenk maßlos war oder Folgekosten nach sich zieht, die lästig oder gar untragbar sind. Das Sprichwort will es anders: „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, heißt es. Doch was, wenn das Pferd mehr Hafer frisst, als seine Arbeit wert ist? Wenn die süßen Kaninchen Dreck und Arbeit verursachen und im Jahr hundert Euro Folgekosten aufwerfen? Melchers pocht hier auf die „Verpflichtung des Schenkenden“, die Situation des Beschenkten zu bedenken, um ihn nicht zu beschämen und in eine moralische Zwickmühle zu zwängen.

Vermutlich zum Glück zerbrechen sich längst nicht alle Menschen beim Schenken den Kopf darüber, was sie damit bezwecken. Geht es um die Freude, die man bereitet? Oder haftet selbst dieser zunächst lauteren Absicht etwas gar nicht mehr Selbstloses an – nämlich der Wunsch, der Beschenkte möge einem gewogen bleiben?

Viele Menschen wollen lieben Menschen durch Geschenke offene oder verborgene Wünsche erfüllen. Manche Zeitgenossen jedoch haben einen Hintersinn – nämlich jenen, den Beschenkten durch die Gabe zu erziehen. Doch ist es verwerflich, den offenen Wunsch eines 14-Jährigen nach einer bestimmten DVD zu ignorieren und ihm stattdessen einen Naturführer zu schenken, damit der Junge nicht noch mehr zum Stubenhocker wird? Das findet Melchers nicht. Einen Anstoß in Richtung Jugend zu geben, auch mit Geschenken, sei in Ordnung, findet der 47-Jährige. „Der Erziehungsauftrag des Erwachsenen erlischt nicht beim Schenken.“

Walter Schmidt

      © Sinn auf Rädern/BelKom