Leben und Denken reflektieren, interpretieren und diskutieren 19.03.2024
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Philosophieren heißt leben lernen, Interview mit JSDialog, Ausgabe 11-2009.

Der Philosophische Praktiker Markus Melchers, Jahrgang 1963, bietet seit 1998 "Sinn auf Rädern" an - daher auch sein Logo: die Eule auf dem Fahrrad. In individualgesprächen wie Arbeitskreisen verhilft Melchers zu mehr (Selbst)erkenntnis. Dutzende Zeitungsartikel und Fernesehbeiträge im In- und Ausland prtraitieren den erfrischend unakademischen Bonner.  

JSDialog: Das Thema Sterben und Tod beschäftigt jeden von uns. Welche Antworten gibt uns die  Philosophie darauf?

Melchers: Es gibt drei Hauptrichtungen. Die erste hält die Seele für unsterblich (z.B. Platon, Sokrates). Die zweite (z.B. Epikur) besagt: Der Tod geht uns Lebende nichts an; wir können uns dazu nicht äußern, weil wir ja diesen Zustand gar nicht kennen können. Die dritte befasst sich mit der Frage, wie wir uns als Lebende mit dem Tod angemessen auseinandersetzen können.

JSDialog: Welche Meinung vertreten Sie persönlich?

Melchers: Zwar können wir uns als Lebende nicht über den Zustand des bereits eingetretenen Todes äußern, jedoch über das Sterben als Prozess, als  Übergang vom Leben in den Tod. Von Montaigne stammt der Satz: „Philosophieren heißt sterben lernen“. Für mich gilt eher: „Philosophieren heißt leben lernen“. Dies setzt allerdings voraus, dass einem die Endlichkeit des Lebens bewusst ist. Hegel z.B. meint, dass das Selbstbewusstsein gleichzeitig ein Todesbewusstsein ist. Daraus resultieren ethische Vorstellungen. Wäre das Leben unendlich, verlören viele Dinge ihren Wert,  denn wären ja ständig verfügbar. Ein Beispiel: Wenn ich erkenne, dass ein geliebter Mensch, der verstirbt, sich nicht ersetzen lässt wie z.B. ein defekter Kühlschrank, weiß ich den Wert der Liebe und die Einmaligkeit dieser geliebten Person zu schätzen. 

JSDialog: Daraus ergibt sich auch die Verantwortung für das Leben und Sterben der Mitmenschen – mit der gerade die Pflegebranche konfrontiert wird.

Melchers: Ich habe als Student in der Pflege gearbeitet, habe erlebt, wie Menschen sterben. Die Würde eines gepflegten Menschen hat viel mit der Wertschätzung zu tun, die ihm zuteil wird. Würde „existiert“ selbst dann, wenn sein Leben von Apparaten abhängt. Sichtbar wird sie, solange ihm Pflegende noch mit Empathie begegnen. Die zunehmende Ökonomisierung der Pflege, den Konflikt zwischen Zeitdruck und Zuwendung sehe ich hier als ein Problem.
 

JSDialog: In einem Zeitungsinterview neulich sprachen Sie sich eher für eine Patientenvollmacht als für eine Patientenverfügung aus. Warum?

Melchers: Liegt eine Verfügung vor, muss sich der Arzt daran halten. Dabei könnte es ja sein, dass der Patient, der sich nun selbst nicht mehr dazu äußern kann, sich zum jetzigen Zeitpunkt anders entscheiden würde als zum Zeitpunkt, als er die Verfügung verfasst hatte. Oft liegt das Jahre zurück!  Eine Vollmacht ist da viel flexibler. Darin können z.B. zwei Vertrauenspersonen des Betroffenen genannt werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im Sinne des Patienten entschieden wird.

Interview: Christina Kamner-Geyler 

      © Sinn auf Rädern/BelKom