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Kann denn Liebe ein Ende haben? General-Anzeiger Bonn vom 04.06.2019
Seit 16 Jahren wird in einem Muffendorfer Wohnzimmer monatlich zum „Philosophischen Salon“ eingeladen. Zuletzt ging es um die Liebe. Wann kann diese enden? Ein philosophischer Exkurs.
Von Ebba Hagenberg-Miliu
Bad Godesberg. Markus Melchers ist schon seit 1998 bundesweit mit Platon, Hegel und Kierkegaard „ambulant“ unterwegs. „Ich bin ein philosophischer Praktiker“, beschreibt das der 55-jährige Bonner Fachbuchautor, der seit 16 Jahren den Muffendorfer „Philosophischen Salon“ und im Kultur-Bistro Pauke zwei weitere Denkformate moderiert. Dabei dreht sich alles um Themen wie Überdruss, Wollust oder Misantrophie, Terror oder Verzweiflung.

Kein therapeutisches Angebot

Melchers fragt „Wer ist ein Realist?“, aber auch „Was kann heute noch Heimat sein?“ Seine Gesprächsreihen seien jedenfalls keine therapeutischen Angebote, streicht er heraus. Der Mann kann aber aus dem Stand auch aufdrehen.

Auf den geblümten Sofas im Wohnzimmer von Gastgeberin Isobel Frost-Ohm sitzen an diesem Abend zwei Dutzend Teilnehmer gemütlich im „Philosophischen Salon“. Melchers hat gerade ins Thema Grenzen der Liebe eingeführt. Und zwar mit drei Zitaten. Arthur Schopenhauer habe gesagt: „In der Liebe handelt der Mensch, ohne es zu wissen, im Auftrag der Gattung“. Von Stasi-Chef Erich Mielke stamme der Seufzer: „Ich liebe euch doch alle“, und vom Schauspieler Peter Ustinov das Bonmot: „Die Kirche sagt, du sollst deinen Nachbarn lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt.“ In der Runde wird herzlich gelacht. Melchers hat die Karten für ein zweistündiges Messen gedanklicher Klingen gemischt. „Und jetzt sind Sie dran.“

Also bei Schopenhauer ginge es ja wohl knallhart um Sex: Liebe diene der Fortpflanzung, setzt ein Herr im Armsessel den ersten Pflock. Und über den „miesen Diktatorenhelfer“ Mielke habe sich doch 1989 die gesamte DDR-Volkskammer tot gelacht, ergänzt ein anderer. Das erinnere sie daran, wie die britische Premierministerin Theresa May kürzlich unter Tränen ihren Rücktritt verkündete, und zwar mit einem: „Ich liebe doch mein Land“, bringt eine Frau ein. „Ich war erst gerührt und habe mir dann gedacht: Verdammt nochmal, die May trauert doch nur ihrer Macht nach.“

Melchers sortiert die Gedankengänge und fragt, über die Grenzen welcher Liebe es denn eigentlich diesen Abend gehen solle. „Über die zwischen zwei Menschen“, sagt eine Frau. Die Liebe des Sammlers zu Erstausgaben von Immanuel Kant wolle man also ebenso herausnehmen wie die zu Tieren, Platten oder Bildern, folgert Melchers und fragt dann: „Sollte diese Liebe gegenseitig sein?“ Und schon berichtet er von der begehrenden und der sorgenden Liebe des Philosophen Platon. „Die wahre Liebe ist doch die einseitige“, meint plötzlich eine Frau. „Oder die von Eltern zum Kind, das einen auch enttäuschen kann, und trotzdem bleibt sie grenzenlos.“

Es herrscht eine knisternde Spannung in der Runde, die Melchers immer mal wieder „eine Nummer schärfer“ anheizt. Habe Senecas „Raserei des Kopfes“ wirklich nie ein Ende? Doch, wenn einer den anderen dauerhaft verletze, stöhnt eine Frau. „Ein rationaler Akt also“, führt Melchers aus. „Sie setzen sich hin und sagen: Heute Nachmittag ist mit der Liebe Schluss?“ Im Wohnzimmer wird gelacht.

„Wir klären hier unsere Gedanken. Das entwickelt sich immer aufregend“, sagt Frost-Ohm zu 16 Jahren Gastgeberschaft. Und Melchers sieht sich wieder bestätigt. In Bonn gebe es halt jede Menge „intelligente, kultivierte Leute, die Freude am Denken und konstruktiven Gespräch haben.“

      © Sinn auf Rädern/BelKom