Ethik soll stören, GFO-Hauszeitung Marienhospital Bonn Nr. 1-2015 |
Mal ein Stück aus dem Alltag zurücktreten, um sich die Zeit zu nehmen, Dinge zu wahrzunehmen. Betrachtungen des Philosophischen Cafés zum Thema „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Von Vera Schweizer
Am 24. Juni haben sich am Thema Interessierte der GFO Kliniken Bonn zusammen mit dem Kollegen des Klinischen Ethikkomitees in lockerer Runde zur Diskussion getroffen. Moderator war Markus Melchers, www.sinn-auf-raedern.de, so spritzig wie der Internetname wirkt auch der Mann.
Melchers arbeitet als philosophischer Praktiker in der Überzeugung, dass philosophische Praxis da entsteht, wo man mit Menschen ins Gespräch kommt, die ein Problem haben oder glauben eines zu haben. Das ist ein Streifzug durch alle Fragen, die das Leben stellt. Selbstbewusst und vergnügt meint er, sein „Werbeblock“ sei ultrakurz. War er. Der Unterschied zwischen ihm und den Kollegen der philosophischen Fachrichtung ist schlicht, dass er sich zum vereinbarten Termin auf sein Rad schwingt und den Kunden zu Hause besucht. »Ich will das Wartezimmer vermeiden«, sagt Melchers.
Er fängt auch gleich ganz praktisch an, „ich werde drei Zitate vortragen, um den Einstieg zu erleichtern“, sagt er: Das Wort Person ist gegeben, um diejenigen zu kennzeichnen, die Würde haben. (Thomas v. Aquin). Unsere ganze Würde besteht im Denken. (Blaise Pascal). Das Bücken und Schmiegen vor einem Menschen ist in jedem Fall eines Menschen unwürdig. (Immanuel Kant). Erwartungsvoll sieht er in die Runde. „Sie melden sich nicht, weil Sie nicht wissen, was Würde ist? Oder Sie melden sich nicht, weil Sie wissen, was Würde ist“? Ein Teilnehmer sinniert: Würde hat zu tun mit Unverwechselbarkeit und Respekt“. Melchers hält seinen Stift in die Luft, „hat der Würde? Haben Tiere Würde? Quallen? Hat jemand Tiere?“ Arne Weiffenbach schießt hoch, “ja, ich habe einen Hund und der hat Würde.“ Ein anderer Teilnehmer sagt nachdenklich, „mir scheint, Würde hat besonders mit den Randbereichen unseres Lebens zu tun, unserem Anfang und unserem Ende. Weiffenbach: „die Würde als etwas Schützenswertes wurde explizit so im Grundgesetz verankert. Ich denke, als Lehre aus der Nazizeit, wo man Leben und Rassen in unwert und wertvoll klassifizierte.“
Die Diskussion um Würde ist breitgefächert: Ein Thema in der Pflege ist Freiheitsberaubung, sie tastet menschliche Würde an. „Wenn wir jemanden fixieren müssen, um ihn zu schützen, ist es nicht das, was wir als würdevoll betrachten. Das hat auch mit Achtung zu tun. Melchers greift sofort nach diesem Gedankenbild. „Was ist zuerst da? Das Wissen um Achtung oder das Wissen um Würde?“ „Wenn ich reflektiere, was ich fühle…meine eigenen Wünsche stehen am Anfang um zu empfinden, was ich anderen antue“, überlegt ein Teilnehmer.
„Vielleicht ist die Betrachtung der eigenen Wünsche nicht hinreichend“, gibt Melchers zu bedenken. Würde beginnt im Kontext mit dem sozialen Umfeld. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Insel, ganz allein. Haben Sie da Würde?“ Wann habe ich Probleme mit der Würde? Erst wenn ein Zweiter dazukommt? Würde kann immer da verletzt werden, wo mehrere Menschen zusammen sind. Ich kann mich in meiner Würde verletzt fühlen, ein anderer in dergleichen Situation nicht. „Würde hat auch mit Erziehung zu tun. Wenn man respektvoll erzogen wurde, gibt man das weiter“ sagt jemand. Melchers fragt, „wie erkennen wir den Würdebegriff am Umgang miteinander?“ „Die höchste Form des Respektes wäre dann wahrzunehmen, was der andere als würdevoll empfindet“, war eine Überlegung. Und Melchers bohrt nach, „der Maßstab für die Würde wäre also das Empfinden des Gegenübers?“ „Nein, auch das eigene“.
Immer wieder kommt die Runde ins Grübeln.
Wann haben wir im Alltag die Gelegenheit, die Muße, unsere Gedanken abzuwägen? Jemand sagt, „vielleicht müssen wir auf zwei Ebenen diskutieren. Auf der sozialverträglichen und auf der juristischen Ebene. Lügen sollte man zum Beispiel nicht. Trotzdem stellt der Staat Lügen nur in bestimmten Fällen unter Strafe, wie bei Betrug, Meineid. Die andere Ebene ist religiös, philosophisch. Man wundert sich, welch kulturellen Unterschiede es gibt. Denken Sie mal an Witwenverbrennung in Indien. Gibt es Argumente dafür? Nein! Die Bewertung von Handlungen unterliegt unterschiedlichen Definitionen. Wenn unterschiedliche Definitionen in den Kulturen gegeneinander gestellt werden. Oder kommen wir zu der Erziehung, von der wir sprachen als Ausgangspunkt für Würde.
„Wer erzieht den Erzieher?“, fragt Melchers.
Und leitet logisch ab, „wo liegt der Ursprung? Wo der erste Punkt?“ „Ich bin mit dem Punkt Erziehung nicht einverstanden. Sobald ich denke, sobald wir die Fähigkeiten zum Denken haben, habe ich Würde. Die habe ich mit der Geburt, weil ich denke. Im Unterschied zu denjenigen, die nicht denken, ist sich jemand ganz sicher. „Sobald ich über bestimmte Fähigkeiten verfüge, habe ich Würde?“, vergewissert sich Melchers.
„Nein, sie ist den Menschen gegeben. Der Unterschied zu respektvollem Umgang und Würde ist der, dass Würde von Anfang an vorhanden ist.“ „Wir sind also würdevolle Wesen?“, piekst Melchers. „Es enthebt uns nicht der Aufgabe zu überlegen, was Würde ist. Wenn man im Internet zum Beispiel Dinge schreiben kann, die andere Menschen verletzen, schiebt der Gesetzgeber einen Riegel vor. Menschenwürde ist abstrakt und kaum zu definieren. Es gibt allerdings einen Kern, der uns mit dem Menschsein gegeben wurde, den ich mir nicht erst verdienen muss.
Melchers fordert die Gruppe heraus, „von Zeit zu Zeit foltere ich gern. Darf man foltern?“ Welches Tor öffnen wir, wenn wir uns das Recht herausnehmen zu entscheiden, ob man foltert? Die Gruppe diskutiert über den Fall, wo von der Polizei gefoltert wurde, um den Aufenthaltsort eines entführten Jungen zu erfahren. Mit vielen Einsichten und Ideen ohne abschließendes Ergebnis. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Würde uns etwas fehlen, wenn es diesen Satz nicht geben würde? „Als das Grundgesetz verabschiedet wurde unter dem Eindruck des Krieges und schrecklicher Menschenrechtsverletzungen, war trotzdem das Schießen an der Mauer auf Flüchtige erlaubt. Darauf haben sich die Schützen berufen. Das Gericht jedoch, egal, was der Gesetzgeber sagt, entscheidet auf fundamentale Dinge mit Verweis auf Naturrecht“, sagt ein Teilnehmer der Diskussion. Diese sind eng verbunden mit den Menschenrechten. Dazu wird zitiert: „Jeder spürt das Naturrecht in sich. Würde hängt nicht von Leistungen und Fähigkeiten ab.“ Sie ist dem einzelnen Menschen als Repräsentanten der Menschheit „angeboren“ und prinzipiell „unverlierbar“.
Der Philosoph Immanuel Kant begründete die Auffassung, dass die Würde des Menschen ohne Ausnahme oder Bedingung „Achtung“ als Rahmen aller zwischenmenschlichen Beziehungen gebietet. Für Kant liegt die Würde darin, dass der Mensch Zweck an sich selbst ist. Daraus folgt dann, dass Menschen andere Menschen niemals nur als Mittel benutzen dürfen. Häftlinge der KZs z.B. wurden nicht als Endzwecke gesehen, sondern zum Arbeiten benutzt, daher leitete er eine moralische falsche Handlung ab.
Die Gruppe diskutiert über ethisch moralische Fragen, wer zum Beispiel gerettet werden solle, wenn zwei Bergsteiger am Seil über dem Abgrund schweben und nur einer gerettet werden könne. Einer ist schon 76, der andere 27. Einer hat kleine Kinder. Die Runde war sich schnell klar darüber, dass Würde nicht abhängig ist von Alter oder Zahl der Kinder. Das scheinbare Dilemma entsteht, weil wir beiden Menschen Würde zusprechen! Wäge ich ab, wer den größtmöglichen gesellschaftlichen Nutzen bringen kann, treffe ich auf dieser Basis eine Entscheidung – und habe damit dem Nützlichkeitsdenken vor dem Würdedenken den Vorzug gegeben. Hier wurde auf den römischen Philosophen Seneca zurückgegriffen, „was das Gesetz nicht regelt, regelt die Moral“.
Wie fällen Sie Ihre Entscheidungen?
Beendet wurde das Philosophische Café mit diesem Zitat von Immanuel Kant: „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, hat kein Äquivalent, das hat eine Würde.“
Wir sind nicht allein mit der Vielfältigkeit der Begriffsdefinition. Nachgegoogelt bei Wikipedia können wir viele unterschiedliche Auffassungen zur Definition von Würde finden. Brecht zum Beispiel will das Wort „Ehre“ durch „Menschenwürde“ ersetzt wissen, weil Ehre etwas Äußeres sei, die Würde etwas Inneres. Der Schweizer Philosoph Peter Bieri versteht die Würde nicht mehr als eine metaphysische Eigenschaft des Menschen, die ihm von niemandem und unter keinen Umständen genommen werden kann, sondern als eine bestimmte Art der persönlichen Lebensführung, die auch misslingen kann. Schiller sieht im freien Willen des Menschen den entscheidenden Unterschied zum Tier. Würde entstehe dann, wenn sich der Wille des Menschen über seinen Naturtrieb erhebe und die Triebe beherrsche. Liest man dann bei „Naturrechten“ weiter, ahnt man, warum der Begriff der Würde als „Recht des Stärkeren“ Bedeutung hatte. Gleiche Rechte sollten den Sieg der besseren Leistung ermöglichen.
HZ: Wie kam es zu der Idee ein Philosophisches Café anzubieten? Dr. Christian Jörgens, MH,…die Idee kam aus Troisdorf, jemand hatte Herrn Melchers sehr positiv im Kultur Bistro Pauke erlebt. Im Ethiknetzwerk der GFO (dafür ist Herr Heinemann zuständig) tauschen sich die Vorsitzenden der Ethikkomitees über ihre Aktivitäten aus. Initiator bei uns war das KEK – Klinische Ethik Komitee.
HZ: Wie hat dir das Philosophische Cafe gefallen und was ist die Quintessenz? Arne Weiffenbach: Wer dahin geht und auf Ergebnisse hofft, wird enttäuscht sein. Diese Runde ist nicht ergebnisorientiert. HZ: Ein seltenes Phänomen heutzutage… Ich habe an den beiden bisherigen Gesprächsrunden teilgenommen und werde auch zukünftig teilnehmen. Gerade die Größe der Gruppe, die zwischen 10 und 20 Teilnehmenden liegt, gefällt mir. Es entspinnen sich wirkliche Gespräche.
Genau das hat auch Herrn Heinemann sehr gefallen, „alle haben sich am Gespräch beteiligt“.
Susanne Minten: Die bisherigen Veranstaltungen fand ich sehr gelungen. Es ist sehr spannend, sich unterstützt durch Herrn Melchers auf die Beschäftigung mit auf den ersten Blick eher unspektakulären Themen einzulassen und schnell zu merken, wie ungeschärft unser Blick - und manchmal auch unsere Sprache - ist. Die Atmosphäre dieser Treffen ist sehr angenehm und kollegial. Besonders schön finde ich, dass sich alle beteiligen. Vielleicht hilft hier der Umstand, dass wir im ethischen Cafe alle „Anfänger“ sind. HZ: Wann hat man das schon mal? Mit Kollegen zusammen zu sitzen, dienstlich und doch nicht dienstlich, gemeinsam über Fragen des Lebens zu sinnieren bei einer liebevoll von Herrn Heinemann vorbereiteten Kaffeerunde, moderiert von einem geistreichen, humorvollen Moderator, der die Menschen lockt, motiviert, ansticht, Gedanken auszutauschen. Mir hat es sehr gefallen. Erstaunlich fand ich, (obwohl mich nun keine Hauszeitung fragt), dass ich zu wissen glaubte, was Würde ist und plötzlich mal wieder feststellen musste, „ich weiß, dass ich nichts weiß“. Mitgenommen habe ich, dass meine Würde unabhängig ist von meiner Leistung. Ich habe Würde. Einfach so, gottgegeben. Das tut gut.
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